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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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die Stiefelsohlen spürte er ein leises Zittern der Erde. Er ließ sich auf die Knie sinken und legte beide Handflächen auf den Boden. Hatte er das wirklich gespürt? Kam das Beben auf ihn zu?
    Vielleicht gab es trotz allem noch einen Ausweg.

    Wolf spürte die Erde unter den Pfoten beben, lief aber trotzdem mit großen Sprüngen voran. Seine Nase sagte ihm, dass er sich den vom Hellen Tier gebissenen Gebieten näherte. Es war ihm egal.
    Schließlich kratzte der Durst in seiner Kehle und er musste anhalten. Er fand ein kleines Stilles Nass und trank daraus. Dann hob er die Schnauze und heulte sein Elend in den Wald hinein.
    Groß Schwanzlos war Nicht-Wolf.
    Groß Schwanzlos war nicht Wolfs Rudelgefährte.
    Wolf hatte keinen Rudelgefährten mehr.
    Wolf war allein.
    Das Beben unter seinen Pfoten verstärkte sich. Teilnahmslos erkannte Wolf es als das Trommeln vieler Hufe.
    Um ihm aus dem Weg zu gehen, trottete er eine kleine Anhöhe hinauf, von der aus er die Pferde vorübergaloppieren sah. Ihr kräftiger Geruch wirbelte ihm um die Nase, aber ihm war viel zu elend, um in Versuchung zu geraten. Er fragte sich auch nicht, wovor sie davonrannten.
    Nachdem sie weg waren, stahl er sich wieder zu dem kleinen Stillen Nass.
    Die Erde ringsum war von den Pferdehufen aufgewühlt und klebte in kalten, weichen Klumpen an seinen Pfoten. Es war ihm egal. Er fragte sich, ob Groß Schwanzlos die Pferde rechtzeitig hören würde, um ihnen aus dem Weg zu gehen. Groß Schwanzlos, der so gut wie nichts hören oder riechen konnte und der nun keinen Rudelgefährten mehr hatte, der ihn warnte.
    Als Wolf mit hängendem Schwanz am Rand des Stillen Nass stand, sah er, wie der Wolf, der im Nass wohnt, ihn anblickte. Es war ein sehr merkwürdiger Wolf, einer ohne Geruch. Das hatte Wolf, als er noch klein war, immer sehr erschreckt, aber bald hatte er gelernt, dass dieser merkwürdige Wolf ihm nichts tun wollte und sich immer dann zurückzog, wenn er das auch tat.
    Momentan sah der Wolf im Nass fast ebenso elend aus, wie sich Wolf selbst fühlte. Um ihn ein wenig aufzumuntern, wackelte er ein wenig mit dem Schwanz, und der Wolf im Nass wackelte auch mit dem Schwanz.
    Dann passierte etwas sehr Seltsames. Ein zweiter Wolf erschien im Nass, einer, der neben dem ersten stand.
    Nur dass dieser Wolf schwarz war.

Kapitel 32

    Dunkelfell rührte sich nicht. Sie wartete, was Wolf tun würde.
    Auch Wolf bewegte sich nicht. Seine Krallen bohrten sich in den Ufermatsch. Sein Pelz kribbelte vor Erregung.
    Dunkelfell zuckte mit dem Schwanz.
    Wolf hob die Schnauze und schnupperte.
    Langsam hob Dunkelfell eine Vorderpfote und strich ihm damit über die Schulter.
    Ihre Nasen berührten sich.
    Wolf packte ihr Nackenfell mit den Zähnen. Sie schlug mit dem Schwanz aus und winselte, zeigte ihm ihren Bauch. Er ließ sie los und dann rollten und hüpften sie in einem Durcheinander aus Matsch, Fell und Reißzähnen über- und untereinander. Sie jagten sich ins Nass und wieder heraus, wobei Wolf immer wieder nach ihren Flanken schnappte. Dunkelfell jaulte vor Freude auf und schnappte zurück. Sie sprang mit vor Nass glänzendem Fell hoch in die Luft, drehte sich und ließ ihren Körper gegen den seinen prallen, woraufhin er sie die Anhöhe hinauf- und wieder hinabjagte und ihren wilden, starken Duft in sich aufnahm, den herrlichsten Duft, den er je gerochen hatte.
    Jetzt schlug sie mit der Pfote Blätter aus dem Wasser, nach denen sie beide schnappten, und dann legten sie sich zu einer kurzen Rast ins Gras. Keuchend teilte sie ihm mit, wie sehr er ihr gefehlt habe, so sehr, dass sie sogar das Rudel verlassen habe, um ihn zu suchen. Nach vielen Malen Hell-und-Dunkel und viel Wittern und Lauschen hatte sie nach ihm geheult und geglaubt, er hätte ihr Heulen erwidert, aber dann hatte das Helle Tier sämtliche Fährten aufgefressen.
    Wolf schloss die Augen und hörte, wie der Wind leise in ihrem Fell spielte. Er war überrascht und glücklich und traurig.
    Dunkelfell spürte sofort, was in ihm vorging. Warum bist du traurig? , fragte sie ihn. Wo ist der, der keinen Schwanz hat?
    Wolf sprang auf und schüttelte sich. Er ist Nicht-Wolf. Er ist nicht mein Rudelgefährte.
    Dunkelfell zuckte verwirrt mit einem Ohr. Aber wir haben zusammen gespielt. Er war dein Rudelgefährte. Das ist unmöglich.
    Wolf trottete auf und ab. Er fand einen interessanten Stock und legte ihn vor ihr als Geschenk ab.
    Dunkelfell ignorierte ihn. Sie erhob sich und stupste die Nase gegen seine Schulter.

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