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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Schwarzwasser trug Torak rasch zum Lager im Großen Wald zurück.
    Nachdem er den Einbaum mit ein paar Laubzweigen getarnt hatte, legte er sich flach hin und vertraute auf den Schutz des Schilfgürtels. Er hatte Glück. Alle hatten damit zu tun, ihre Bäume anzumalen. Er sah Frauen, Männer und Kinder, die eifrig dabei waren, Erdblut aufzutragen.
    Was für ein Irrsinn trieb sie dazu, blindlings irgendwelche Befehle auszuführen, dachte er. Sahen sie denn nicht, dass Thiazzi ihnen ihre Freiheit wegnahm, wie ein Fuchs, der einen Kadaver fledderte?
    Als er am Lager vorübergetrieben war, nahm er das Paddel wieder in die Hand. Der Nachmittag verging. Der Westwind trug den Gestank des niedergebrannten Waldes heran. Und immer noch hatte er nichts von Renn gesehen.
    Als er um eine Flussbiegung kam, sah er, dass das Nordufer matschig und aufgewühlt war. Die Boote waren nicht mehr da, aber etwas schimmerte dort am Zweig einer Weide. Eine schwarze Haarlocke.
    Torak steuerte seinen Einbaum ans Ufer und stieg vorsichtig die Böschung hinauf.
    Die Spuren mehrerer Männer führten in den Wald. Zwischen ihnen entdeckte er Renns Fußabdrücke. Also hatten sie sie erneut gefangen genommen. Warum hatten sie sie hierher gebracht?
    Er zwang sich zum Nachdenken und kam schließlich darauf, dass die Männer kurz darauf zurückgekommen und wieder davongepaddelt sein mussten. Hatten sie Renn mitgenommen? Das glaubte er nicht.
    Ein Stück weiter entdeckte er noch eine Haarsträhne, die an einem Zweig festgebunden war. Dann noch eine. Sein Magen krampfte sich zusammen. Wenn sie dazu in der Lage gewesen war, musste es ihr noch einigermaßen gut gegangen sein. Und sie hatte gewollt, dass er ihr folgte.
    Er zog sein Messer und ging in den Wald hinein.
    Es dämmerte bereits, als er bei einer kleinen Hütte im Schutz einer umgestürzten Rottanne ankam. Er sah dünne rote Stricke von den Bäumen herabhängen und Auerochsenhörner mit eingeritzten heiligen Spiralen. Das musste die Gebetshütte des Auerochsenschamanen sein. Aber sie strömte die ganz eigene Stille eines verlassenen Lagers aus.
    Der Eingang war von zwei gekreuzten Ästen versperrt, einer von einer Eiche, der andere von einer Eibe. Von bösen Vorahnungen getrieben, stieg Torak über sie hinweg und betrat die Hütte. In der Feuerstelle befand sich nur kalte weiße Asche, spröde wie alte Knochen, aber quer darüber lag etwas anderes. Sein Magen drehte sich um. Es waren die Reste von Renns Bogen.
    Ungläubig hob er die schwarzen zerbrochenen Eibenstücke auf, auf die sie so stolz gewesen war. Der Tag im vergangenen Sommer fiel ihm ein, an dem sie Haselnüsse zerstoßen hatte, um den Bogen mit dem Öl einzureiben. Die Sonne hatte auf ihrem rötlichen Haar geschimmert, und er hatte sich gewundert, wie es wohl sein würde, es sich ums Handgelenk zu winden. Sie hatte sich umgedreht und ihm in die Augen gesehen. Sein Gesicht war brennend heiß geworden. Wolf hatte sich an ihm vorbei in Richtung Haselnüsse geschlichen, aber Renn hatte seine Schnauze weggeschoben. »Nein, Wolf, die sind nicht für dich!« Aber schon kurz darauf hatte sie nachgegeben und ihm eine Handvoll hingehalten.
    Jetzt kniete Torak in der erkalteten Asche und hielt den halb verbrannten Bogen in Händen. Es roch nach Asche und … einem Hauch von Rottanne. Neben seinem Knie erblickte er ein kleines Bernsteinkügelchen. Er hob es auf. Tatsächlich, Rottannenblut. Daneben der Abdruck einer Hand. Die Hand eines großen Mannes. Eine Hand, der zwei Finger fehlten.
    Mit einem Mal passte alles zusammen, und Torak war, als stürzte er aus schwindelerregender Höhe herab. Thiazzi war der Auerochsenschamane! Thiazzi war der Waldpferdschamane! Sie waren ein und dieselbe Person!
    Und Thiazzi hatte Renn in seiner Gewalt.
    Torak sprang auf und taumelte aus der Hütte. Mondlicht tauchte die Lichtung in eisiges Blau. Er dachte daran, dass Renn dabei hatte zusehen müssen, wie Thiazzi ihren Bogen zerbrach. Wie sehr musste der Seelenesser diesen Moment genossen haben. Und er hatte gewollt, dass Torak es erfuhr. Er hatte den Bogen absichtlich als Zeichen zurückgelassen, zusammen mit seinem dreifingrigen Handabdruck. Ich, Thiazzi, habe das getan.
    Thiazzi war es auch gewesen, nicht Renn, der die Haarsträhnen auf dem Pfad hinterlassen hatte: um Torak hierherzuführen, um sicherzugehen, dass er den Köder schnappte. Und diese gekreuzten Äste … Sie verrieten ihm, wohin er sie gebracht hatte.
    In den Heiligen Hain, dorthin, wo die Kadaver

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