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Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Blutsbruder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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auf der Brust trug er sein Clantotem, den Kranz aus Eicheln und Misteln. Die Beeren hatten die trübweiße Farbe blinder Augen. Zwischen ihnen erspähte Renn einen kleinen schwarzen Beutel.
    Der Feueropal.
    Sie wusste, dass Thiazzi ihren Blick spürte und sich daran ergötzte, aber sie konnte ihn einfach nicht abwenden. Nun schob er noch mehr Äste ins Feuer, und sie starrte auf das verkohlte Fleisch, das von dem Pfahl herabhing.
    Sie zwang sich, nach oben zu sehen. Der Stern war erloschen. Von hier darfst du dir keine Hilfe erwarten, höhnte der leere Himmel.
    Ihr Verstand trippelte hastig hin und her wie eine Spinne. Wo waren Rip und Rek? Und Wolf? Und Torak?
    Nein. Hoffe nicht darauf, dass er kommt, denn genau das will Thiazzi. Du bist der Köder. Wenn er kommt, musst du mit ansehen, wie er stirbt.
    Und Thiazzi würde gewinnen, daran hegte sie keinen Zweifel. Er war der stärkste Mann im Wald, zudem verfügte er über sämtliche Tricks eines Schamanen.
    Das Pochen in ihrem Kopf war schlimmer geworden. Erschrocken merkte sie, dass sie ihre Stiefel nicht mehr sehen konnte. Rauch drang durch die Spalten herein und kringelte sich um ihre Knöchel.
    Ihre Augen fingen an zu brennen. Sie versuchte zu husten, brachte aber nicht mehr als ein ersticktes Stottern hinter dem Knebel heraus.
    »Dauert nicht mehr lange«, wiederholte Thiazzi.
    Erneut spähte sie durch den Spalt. Der Eichenschamane stand breitbeinig da und warf eine Hirschlederpeitsche von einer Hand in die andere. Seine groben Züge waren vor Vorfreude ganz angespannt. Was hatte er gehört, das sie nicht vernommen hatte?
    Der Lärm in ihrem Kopf wurde lauter.
    Nein, das war nicht in ihrem Kopf, es kam von draußen, von außerhalb des Dornenkreises.
    Es war das Trommeln von Pferdehufen.

Kapitel 35

    Immer näher kamen die donnernden Hufe. Renn drückte das Gesicht an den Spalt, um ja nichts zu verpassen.
    Ein Schatten im Augenwinkel, dann setzte ein schwarzes Pferd mit Torak – ja, Torak! – auf dem Rücken in einem gewaltigen Sprung über die Hecke. Mit einer Hand hielt Torak die Mähne des Pferdes gepackt, in der anderen sein Messer aus blauem Schiefer. Sein dunkles Haar wehte im Wind, sein ernstes Gesicht war direkt auf Thiazzi gerichtet.
    Die Hufe der Stute bohrten sich in den Boden, wirbelten kleine Aschefontänen auf, aber Torak klammerte sich fest, ohne den Eichenschamanen, der schweigend dastand und sich mit der Peitsche auf den Oberschenkel klopfte, aus den Augen zu verlieren.
    Die Stute schnaubte und warf den Kopf nach hinten. Torak sprang von ihrem Rücken, machte einen unsicheren Schritt, blieb aber stehen. Die Stute zuckte mit dem Schwanz und setzte wieder über die Dornen hinweg, kurz darauf waren ihre Hufschläge verhallt.
    Renn hörte das Feuer knistern und die Glut zusammenfallen. Sie rieb die Wange an dem unnachgiebigen Holz. Nein, Torak, nicht! Er wird dich umbringen!, wollte sie rufen.
    Ohne Eile warf Thiazzi seinen Mantel ab. Darunter trug er die Felle vieler Jäger: Fuchs, Luchs, Vielfraß, Bär. Ihre Stärke war seine Stärke. An seinem Gürtel hing das große Messer, dessen Klinge vom vielen Töten schartig und rot war. Er war unbesiegbar: kein Wesen aus Blättern und Rinde mehr, nicht mehr etwas aus dem Wald, sondern sein Herrscher.
    Torak funkelte ihn an. »Wo ist sie?«, rief er.

    »Wo ist sie?«, keuchte Torak. Er war außer Atem. Seine Beine zitterten. Allein sich auf den Beinen zu halten bedeutete eine große Anstrengung.
    Der Eichenschamane stand auf der anderen Seite des Rauchs: riesengroß, schweigend, völlig beherrscht. Torak konnte nirgendwo einen Hinweis auf Renn entdecken. Nur die Kiefernleiter, die an der kranken Eiche lehnte – und diesen entsetzlichen Pfahl.
    »Das wolltest du doch, oder?«, rief er. »Du wolltest mich haben. Hier bin ich! Lass sie frei!«
    »Und was willst du, Seelenwanderer?«, fragte Thiazzi. »Rache für deinen toten Verwandten. Hier bin ich. Du musst nur herkommen und dir deine Rache holen, dann ist dein Schwur erfüllt.« Er bleckte die gelben Zähne und breitete die Arme aus, wodurch seine gewaltigen Schultern und die breite Brust sichtbar wurden.
    Torak zögerte.
    »Wenn du mir auch nur einen Kratzer zufügst, Seelenwanderer, stirbt das Rabenmädchen sofort. Wenn du dich jedoch in meine Macht begibst, kommt sie frei.«
    Das Feuer zischte. Die Stechpalmen, die Große Eiche und die Große Eibe, alle warteten darauf, was Torak tun würde.
    Ohne den Blick von Thiazzi zu wenden, nahm er seinen

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