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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Fall, es zu schärfen. Dann tut es nicht so weh.«
    Mit entsetzter Miene hatte Torak zugesehen, wie Renn ihrem Beutel ein kleines Kästchen mit Hornahlen, ein Knäuel Sehnenfaden und einen schmalen knöchernen Angelhaken entnahm.
    »Wofür ist der Angelhaken?«, hatte er gefragt.
    Als Renn antwortete, wich sie seinem Blick aus. »Du darfst nicht zu tief schneiden, sonst durchtrennst du den Muskel.«
    Torak legte die Hand auf die Brust.
    »Ich zeige es dir.« Renn kratzte mit dem Messer ein Kreuz auf ihren Beinlingen ein. »Das ist die Tätowierung. Du – du musst um diese Stelle herumschneiden, etwa in der Form eines Weidenblattes. Anschließend fährst du mit dem … mit dem Haken unter die Haut an die Mitte des Einschnittes und hebst sie an.« Schweißperlen standen auf ihrer Stirn, als sie mit ihrem Beinleder ebenso verfuhr und das Rehleder sich wölbte. »Dadurch kannst du in die Haut ein… einschneiden und die Tätowierung anheben und entfernen. Dann musst du die Wundränder zusammenschieben und ver… vernähen.«
    Als Renn mit ihren Erklärungen fertig war, hatten sie beide gezittert.
    Die eisige Gischt der Zwillingsflüsse übersprühte Toraks Gesicht mit feinem Nebel, als er niederkniete und den bitteren Trunk schluckte. Er reinigte sich mit den Ebereschenzweigen und malte sich das Zeichen der Hand aufs Gesicht. Dann holte er Nadel und Haken hervor. Er befürchtete, dass sich ihm jeden Moment der Magen umdrehen würde.
    Am Fuße des Felsens war Wolf mit erhobener Schnauze und gerecktem Schwanz auf die Pfoten gesprungen. Er witterte etwas.
    Was ist? , fragte Torak.
    Etwas Anderes.
    Was denn Anderes?
    Etwas Anderes . Wolf trabte im Kreis herum und sah Torak an. Im Mondlicht schimmerten seine Augen seltsam silbern.
    Was Wolf auch wittern mochte, Torak durfte sich nicht davon ablenken lassen. Wenn er nicht auf der Stelle tat, was er tun musste, würde er nie den Mut dazu haben.
    Entschlossen zog er sich das Wams über den Kopf. Kalte Gischt benetzte seinen nackten Oberkörper. Mit zitternden Händen tupfte er eine Linie aus Erdblut um das Zeichen, den dreigezackten Spieß der Seelenesser.
    Er zückte das Messer. Fas Messer. Der Meerschiefer fühlte sich eisig an, doch der Knauf lag schwer und warm in seiner Hand.
    Wolf stieß ein tiefes Knurren aus.
    Torak befahl ihm, zu bleiben, wo er war – und bereitete sich auf den ersten Schnitt vor.

    Kurz vor der Morgendämmerung lag er im Schatten des Felsens in seinem Schlafsack und konnte nicht aufhören zu zittern. Es tat weh, zu atmen. Es tat weh, zu sein . Es gab nur noch den brennenden Schmerz in seiner Brust, etwas anderes existierte nicht mehr.
    Er schluchzte unwillkürlich auf, dann presste er die Zähne noch fester aufeinander. Fa hat dasselbe durchgemacht, sagte er sich. Fa hat sich auch das Zeichen herausgeschnitten und er hat es überstanden. Du schaffst es ebenfalls.
    Die Stimme des Flusses dröhnte in Toraks Schädel wie das Pochen in seiner Brust.
    Aber Fa hatte eine Gefährtin gehabt, die ihm beistand. Du nicht. Du bist ganz allein.
    Ächzend presste er das Gesicht in das Hirschleder.
    Plötzlich kitzelte ihn etwas an der Nase, ein langes rotes Haar von Renn, das in ihrem Schlafsack zurückgeblieben war. Seine Finger krampften sich darum. Nicht allein, sagte er zu sich.
    Einige Zeit später erwachte er von Pfotengetrappel auf den Steinen. Eine kalte Nase drückte sich an seine Wange und Wolf ließ sich mit einem Hmpff neben ihm nieder.
    »Nicht allein«, flüsterte Torak und vergrub die Finger im Fell seines Rudelgefährten. Verlass mich nicht, niemals , sagte er in Wolfssprache.
    Wolf stupste ihn erneut zärtlich mit der Nase und schleckte ihm beruhigend übers Gesicht.
    Torak krallte sich in das Nackenfell und glitt in böse Träume hinüber.
    Er träumte, dass Renn von einem Elch angegriffen wurde. Nicht von dem jungen Elch, der so gern sein Freund sein wollte, sondern von einem ausgewachsenen Elchbullen.
    Torak versuchte sich zu bewegen, doch der Traum lähmte seine Glieder, und er musste hilflos zusehen, wie Renn vor dem Angreifer hinter den Stumpf einer Eiche zurückwich und sich verzweifelt nach einem Baum umsah, auf den sie hinaufklettern und sich in Sicherheit bringen konnte. Vergebens : Hinter ihr lag der Fluss, vor ihr standen kniehohe Weiden.
    Der Elch stieß ein markerschütterndes Röhren aus und senkte angriffslustig den mächtigen Schädel. Ein Tritt der gewaltigen Hufe konnte den Schädel eines Wildschweinebers zerschmettern oder

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