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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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dir nichts von dem Zeichen erzählt habe. Hätte ich dich doch bloß eingeweiht. Aber – aber irgendwie war nie der richtige Moment dafür.«
    Ihre Kehle war wie zusammengeschnürt. »Ich weiß, wie das ist. Es ist nie einfach, sich jemandem anzuvertrauen. Ich meine, wenn man ein Geheimnis hat.«
    »Jedenfalls tut’s mir leid.«
    Nachdem sie das Mahl beendet hatten, schnallte Torak den Schlafsack auf seinem Rücken fest und schulterte Köcher und Bogen. Renn packte den Vorratsbeutel wieder ein und legte ein Stück Lachsfladen für den Clanhüter in einen Weidenzweig. Kaum hatte sie das getan, da wünschte sie, sie hätte mit dem Opfer noch ein wenig gewartet, damit Torak nichts davon bemerkt hätte. Er sagte zwar, das mache ihm nichts aus, aber sie spürte deutlich, dass er log.
    »Merkwürdig«, sagte er. »Ich habe das mein ganzes Leben lang getan. Dabei habe ich keinen Clanhüter.«
    »Trotzdem ist es ein Opfer. Für den Wald.«
    »Wahrscheinlich hast du recht.« Er stockte. »Wie kann das nur sein, Renn? Wie ist es möglich, dass ich keinem Clan angehöre?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Ich habe eine Clanseele und kann Gutes von Bösem unterscheiden. Wieso?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Saeunn sagt, noch nie sei jemand ohne Clan gewesen.«
    Als sie seine erschütterte Miene sah, hätte sie sich vor Wut am liebsten in den Hintern gebissen. Diese schlaue Antwort musste ihn ja aufmuntern. »Wie auch immer«, fuhr sie rasch fort, »zum Wolfsclan würde ich nicht gern gehören. Diese gelben Augen…« Sie erschauerte. »Ich habe die Wolfsschamanin gefragt, wie das kommt, und sie sagte, dass sie etwas ins Wasser mischt. Einmal hat sie etwas falsch gemacht, da hatten alle rosa Augen.« Sie kaute auf der Lippe. »Das habe ich frei erfunden. Kleiner Scherz.«
    Torak quälte sich ein Lächeln ab. Er tat ihr so furchtbar leid.
    »Aber wenn ich nicht zum Wolfsclan gehöre«, sagte er, »wer bin ich dann?«
    Sie holte tief Luft. »Du bist Wolfs Rudelgefährte. Du bist mein Freund. Und daran wird sich nie etwas ändern.«
    Torak blinzelte. Dann rieb er sich mit der Hand das Gesicht, streifte sich den Vorratsbeutel über die Schulter und hustete. »Fin-Kedinn fragt sich bestimmt, wo du so lange bleibst. Du hast gesagt, du weißt über die Zeremonie Bescheid?«
    »Ja«, bestätigte Renn.
    Etwas in ihrer Stimme ließ ihn aufhorchen. »Bist du sicher?«
    »Ja«, wiederholte sie. Tatsächlich hatte sie sich alles aus Bruchstücken zusammengereimt, während sie Saeunn beobachtete, doch das brauchte Torak ja nicht zu erfahren.
    Die Beschreibung der Zeremonie nahm nicht viel Zeit in Anspruch, allerdings drehte sich beiden der Magen um, als Renn erzählte, wie das Zeichen herausgeschnitten werden musste.
    »Hier«, sagte sie mit zittriger Stimme und löste den Medizinbeutel aus Schwanenfußhaut von ihrem Gürtel. »Das meiste, was du benötigst, ist hier drin.«
    Torak nahm den Beutel und starrte darauf.
    »Du musst warten, bis der Mond voll ist«, fuhr sie fort. »Bis dahin musst du dir einen sicheren Unterschlupf suchen.«
    »Sicher?«
    »Nun, zumindest sicherer als dieser hier. Am besten wir machen einen Treffpunkt aus.«
    »Was soll das heißen?«
    »Wenn der Mond voll ist. Für die Zeremonie.«
    »O nein. Nein.«
    Bestürzt stellte Renn fest, dass er eine störrische Miene aufsetzte: Genauso hatte auch Wolf dreingeblickt, als er sich weigerte, in ein Robbenboot zu klettern.
    »Torak«, sagte sie beschwörend. »Du schaffst es nicht allein. Ich habe dir nur erzählt, was du zur Vorbereitung benötigst, aber ich muss dabei sein und dir helfen.«
    »Nein.«
    »Doch.«
    »Aber du verabscheust die Schamanenkunst.«
    »Das spielt keine Rolle! Jedenfalls weiß ich, wie es geht.«
    Torak erhob sich. »Hör mal zu, Renn. Diesmal ist es nicht wie sonst, wenn du heimlich wegläufst und Fin-Kedinn böse auf dich ist und dir nach einer Weile verzeiht. Dies hier kann dich das Leben kosten.«
    »Ich weiß genau, wie gefährlich es ist, aber …«
    »Nein. Dass du heute Abend gekommen bist, war unglaublich tapfer, aber du kannst – nein, du darfst dich kein zweites Mal in so große Gefahr begeben!«
    Renn stand auf. »Das ist meine eigene Entscheidung.« Sie wandte sich um und angelte ihren Bogen von einem Zweig. »Falls du das vergessen hast, bei all den ›sonstigen Malen‹ wie du das nennst, habe ich in Wahrheit … Torak? Torak!«
    Aber da war er bereits verschwunden und lautlos wie ein Gespenst mit der Nacht verschmolzen.

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