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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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seinen Schuhen und ein Modergeruch stieg ihm in die Nase. Der Stein fühlte sich kalt unter seinen Fingern an. Als er die Spitze erreicht hatte, spürte er das Röhren des Wasserfalls am ganzen Körper. Es übertönte sämtliche Geräusche des Waldes. Im Westen flackerten die winzigen roten Lagerfeuerpunkte und verhöhnten seine Einsamkeit.
    Wolf war mit bluttriefender Schnauze von der Jagd zurückgekehrt. Er richtete sich mühelos auf den Hinterläufen auf, legte die Vorderpfoten auf den Felsen und machte Anstalten, hochzuspringen und sich zu Torak zu gesellen.
    Nein , befahl Torak in Wolfssprache. Bleib unten .
    Wolf hockte nieder und musterte ihn verwirrt.
    Torak zwang sich, nicht auf Wolf zu achten. Er würde nicht verstehen, was er vorhatte, und Torak wusste nicht, wie er es ihm hätte begreiflich machen sollen.
    Zum ersten Mal in seinem Leben würde er Schamanenkunst anwenden und Kräfte entfesseln, mit deren Hilfe Schamanen in die Zukunft sahen, Kranke heilten und Beute aufspürten: Kräfte, von denen Torak nichts verstand und die er letztendlich nicht bändigen konnte.
    »Auf diesem Weg dringt man tief in das Leben ein«, hatte Renn einmal gesagt, als sie versucht hatte, ihm zu erklären, was für sie ebenso natürlich war wie das Fährtenlesen für Torak. »Du berührst die Weltseele Nanuak. Aber sieh dich vor, denn es ist so, als würdest du deinen Fuß in den reißenden Lauf eines Flusses tauchen. Wenn du zu tief in den Sog gerätst, zieht er dich mit.«
    Nanuak.
    Torak spürte es in sich: die rohe Kraft, die alles Lebende durchpulst – Fluss, Stein, Baum, Jäger, Beute – und sie mit dem Weltgeist verbindet.
    Er wischte sich die Gischt vom Gesicht und nestelte den Schwanenfußbeutel auf. Die Klauen waren scharf, die Haut schuppig. Er öffnete den Beutel und breitete vor sich aus, was Renn ihm gegeben hatte.
    »Es gibt fünf unterschiedliche Formen der Schamanenkunst«, hatte sie gesagt. »Senden. Rufen. Reinigen. Verbinden. Durchtrennen. Du führst eine Reinigungszeremonie durch. Und – du trennst ab.« Sie hatte schwer geschluckt. »Du benötigst dafür etwas von jedem der vier Lager der Clans: Wald, Eis, Berg, Meer. Für den Wald hast du das Medizinhorn deiner Mutter. Nimm daraus das Erdblut und vermische es mit Fett – egal, von welchem Tier, es darf nur keines aus dem Wasser sein – und ziehe eine Linie um die Tätowierung. Das zeigt dir, wo du … wo du schneiden musst.« Sie hatte tief Luft geholt. »Für das Eis nimm den Schwanenfußbeutel. Er hat einmal dem Schamanen der Eisfüchse gehört und enthält die nötigen guten Kräfte.«
    »Und die Berge?«, hatte Torak gefragt. Plötzlich war ihm schrecklich kalt geworden.
    Renn hatte ein Armband aus getrockneten, auf den Stängel eines Weidenröschens aufgefädelten Ebereschenbeeren aus dem Beutel gezogen. »Ich habe einige Ebereschen getroffen, die zeitig zum Clantreffen aufgebrochen sind, um die besten Plätze zu ergattern. Ich habe das Band gegen einen Pfeil getauscht.«
    »Fällt es ihnen denn nicht auf, wenn du das Band nicht trägst?«
    »Daran habe ich auch schon gedacht und es geteilt.« Zum Beweis kramte sie ein identisches Band aus dem Beutel und knüpfte das andere um sein Handgelenk. Trotz ihrer mürrischen Miene vermutete Torak, dass sie, nicht anders als er, insgeheim froh darüber war, dieses Band mit ihm zu teilen.
    »Wenn es so weit ist«, war sie fortgefahren, »musst du einen Reinigungstrank aus Raukewurzeln, die du mit Erlenborke, Quendel und Holunderblättern zerstampfst und in starkem Wasser einweichst, zubereiten. Nimm dafür Wasser aus dem Axtknauffluss, das ist wichtig, denn der Fluss erhält seine Kraft aus dem Eisfluss in den Bergen. Außerdem musst du den Trank möglichst lange im Mondschein stehen lassen.«
    In der Dämmerung hatte er den Trank vorbereitet und in einem Becher aus Eichhörnchenleder, den er angefertigt hatte, vermischt und dann auf den Felsen gestellt, damit die ersten Mondstrahlen darauf schienen, während er sich aufmachte, um Ebereschenzweige zu sammeln.
    »Ich glaube nicht, dass irgendetwas darin deine Seele zum Wandern bringen könnte«, hatte Renn gesagt, »trotzdem solltest du für alle Fälle das Zeichen der Hand auf dein Gesicht malen und dich am ganzen Körper mit Ebereschenblättern berühren. Und natürlich bin ich bei dir … falls irgendetwas Unerwartetes passiert.«
    »Was benutze ich für das Meer?«
    »Das Messer deines Vaters, es besteht aus Meerschiefer. Vergiss auf keinen

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