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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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»Angst?«
    »Nein«, entgegnete Torak, aber das war gelogen. Er hatte völlig vergessen, dass der Eberclan mit nacktem Oberkörper zu kämpfen pflegte. Er hingegen durfte sich nicht ausziehen, sonst wäre das Zeichen für alle sichtbar.
    »Los, mach dich bereit«, stieß Aki wütend hervor, während er die Leiter herunterkletterte.
    »Nein«, sagte Torak.
    Als Antwort flog ein weiterer Stein auf ihn zu. Er fing ihn auf, schleuderte ihn zurück, und das Ebermädchen umklammerte aufheulend sein blutendes Schienbein.
    Aki hatte beinahe das Ende der Leiter erreicht und seine Freunde folgten ihm auf dem Fuße wie Ameisen einer Honigspur.
    Torak packte das Gehörn, ging hinter einer Kiefer in Deckung, hakte eine Geweihsprosse ins Geäst und schwang sich nach oben.
    »Wir haben ihn!«, brüllte Aki siegessicher.
    Irrtum, dachte Torak. Er hatte die Kiefer gewählt, weil sie dicht an der Felswand stand, und nun kletterte er behände auf dem Ast nach oben, auf genau jenen Felsgrat, den seine Angreifer soeben verlassen hatten. Die Stelle war mit Quarzspänen und Mahlsteinen übersät, ein mit Kiefernblut gefüllter Elchledereimer stand in der warmen Asche, damit das Blut flüssig blieb. Die über ihm liegende Felswand war weniger steil und mit Wacholderbüschen bewachsen, an denen er sich beim Aufstieg festhalten konnte.
    Während er Steine warf und den Geschossen von unten auswich, eilte Torak zur Leiter hinüber und versetzte ihr einen kräftigen Tritt. Sie rührte sich nicht. Die Weiden hatten sie mit Lederriemen am Felsen festgezurrt, aber ihm blieb keine Zeit, die Riemen zu durchtrennen. Es gab nur eine Möglichkeit, seine Angreifer aufzuhalten. Hastig packte Torak den Eimer mit Kiefernblut und kippte den Inhalt über die Leiter aus.
    Von unten erscholl ein markerschütternder Schrei. Torak ließ überrascht den Eimer fallen. Aki war flinker, als er aussah, und hatte beinahe das obere Ende der Leiter erreicht gehabt. Unbeabsichtigt hatte Torak ihn mit einem Eimer siedend heißen Kiefernblutes übergossen.
    Aki brüllte wie ein aufgespießter Eber und rutschte die Leiter hinunter.
    Torak packte einen Wacholderbusch, zog sich weiter nach oben und sah zu, dass er Land gewann.

    Torak stürmte durch den Wald, immer in Richtung Nordosten. Das wütende Geschrei der Jungen und Mädchen verhallte nach und nach. Er verabscheute es, zu flüchten, trotzdem galt er lieber als Feigling, als dass er sein Geheimnis preisgab.
    Der Abhang verlief nun zusehends flacher und Torak schlitterte hinunter, bis er erneut an den Fluss gelangte, wo er sich von den Clanpfaden fernhielt und stattdessen einen der Wolfspfade einschlug, dem er blind zu folgen vermochte. Hatte er erst die Furt erreicht, konnte er ans andere Ufer waten und rasch ins Rabenlager zurückeilen. Der Vorfall würde bestimmt ein Nachspiel haben, aber Fin-Kedinn würde ihn nicht im Stich lassen.
    Im dichten Weidengebüsch am Ufer blieb er stehen. Sein Atem ging rasselnd und stach schmerzhaft in der Brust.
    Die Bäume ringsum waren noch nicht ganz aus dem Winterschlaf erwacht. Bienen summten geschäftig um die Weidenkätzchen, ein Eichhörnchen döste in einem Fleck Sonnenlicht, den Schwanz um einen Ast geschlungen. Am seichten Flussufer planschte ein Eichelhäher. Niemand war in der Nähe. Der Wald hätte den Vogel gewarnt.
    Zitternd vor Erleichterung lehnte sich Torak gegen einen Baumstamm.
    Er ließ die Hand an den Halsausschnitt seines Wamses gleiten und befühlte die Tätowierung auf seiner Brust. Er hörte das Raunen der Natternschamanin: »Dieses Zeichen wirkt wie eine Harpunenspitze im Nacken der Robbe. Ein Ruck, und du musst ihm folgen, wie sehr du dich auch dagegen wehrst … «
    »Ich gehöre nicht zu euch«, murmelte Torak. »Niemals!«
    Aber als der Schlaf in sturmdurchtosten Winternächten nicht hatte kommen wollen, hatte er gespürt, wie das Zeichen auf seiner Haut brannte. Er fürchtete sich vor dem Gedanken, was es Böses hervorbringen mochte. Und zu welch bösen Taten es ihn zwingen könnte.
    Irgendwo im Süden heulte Wolf. Er hatte einen Hasen gerissen und sang dem Wald, seinem Rudelgefährten und allen, die sonst noch die Ohren spitzten, das Lied seines Jagdglücks.
    Wolfs Stimme holte Torak aus seinen trüben Gedanken und munterte ihn auf. Wolf schien das Zeichen nicht zu kümmern und auch den Wald scherte es nicht. Der Wald wusste es und hatte ihn doch nicht verstoßen.
    Der Eichelhäher flog unversehens auf, trocknete spritzend das Gefieder, und für kurze

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