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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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erwiderte sie mit merkwürdiger Stimme. »Solche nicht.«
    Ihre Frage, welcher Seelenesser das Zeichen auf seine Brust eingeritzt hatte, überraschte ihn.
    »Das war Seshru. Warum?«
    Sie riss den Schorf mit einem Ruck von der Wunde und bohrte den Fingernagel in das rohe Fleisch darunter. »Wo waren die anderen währenddessen?«
    Torak schluckte. »Thiazzi hat mich zu Boden gedrückt. Die Fledermausschamanin hat zugesehen. Eostra …« Ihn überlief ein Frösteln, als er sich an die grausige Holzmaske der Adlereulenschamanin erinnerte. »Ich konnte sie nicht sehen, aber da war eine Eule, die uns von einem Eishügel aus beobachtete …«
    Mit einem Mal fühlte er sich wieder in die eisige Kälte des Hohen Nordens zurückversetzt. Er spürte den unerbittlichen Griff des Eichenschamanen, sah die wachsam geduckte Gestalt der Fledermausschamanin, fing den bösartigen Blick aus den gelben Glotzaugen der größten aller Eulen auf. Seshru, die Natternschamanin, löschte das Licht der Sterne und er starrte in den schwarzblauen Nachthimmel. Er hörte, wie ihr schöner Mund die unheilverkündende Prophezeiung aussprach, die sein Schicksal besiegelte, während sie wieder und wieder die Knochenahle in seine Brust bohrte und ihn mit dem Blut der getöteten Jäger verunreinigte. Dieses Zeichen wirkt wie eine Harpunenspitze im Nacken der Robbe. Ein Ruck, und du musst ihm folgen …
    »Torak?«
    Mit einem Schlag war er wieder in der Hütte.
    »Was hast du vor?«
    »Was ich sofort hätte machen sollen. Ich schneide das Zeichen heraus. Du musst mir sagen, wie.«
    »Nein«, entgegnete Renn ohne Zögern.
    »Renn. Du musst es mir sagen.«
    »Nein! Allein schaffst du das nicht, du kennst dich mit der Schamanenkunst nicht aus.«
    »Ich muss es wenigstens versuchen.«
    »Ja, und ich helfe dir.«
    »Nein. Wenn du mir hilfst, droht dir dasselbe Schicksal wie mir.«
    »Ist mir egal.«
    »Mir aber nicht.«
    Renn gab keine Antwort. Sie presste die Lippen aufeinander. Manchmal konnte sie unglaublich störrisch sein.
    Doch Torak stand ihr darin in nichts nach. »Renn. Hör zu. Es ist noch nicht lange her, da haben sie Wolf gefangen  – meinetwegen. Aus diesem Grund habe ich ihn noch nicht gerufen. Er würde nur versuchen, mir zu helfen und sich dadurch selbst schaden. Wenn du dich meinetwegen in Gefahr begibst …« Er hielt inne. »Du musst mir schwören, bei deinem Bogen und deinen drei Seelen, dass du mir nicht zu Hilfe kommst, wenn sie mich verstoßen.«
    Auf der Lichtung ertönte ein Geräusch. Torak sah die gebeugte Gestalt der Rabenschamanin auf die Hütte zuhumpeln.
    »Renn!«, flüsterte er drängend. »Tu’s für mich! Schwöre!«
    Renn hob den Kopf und in ihren dunklen Augen glommen zwei winzige Flammen auf. »Nein«, sagte sie.

    »Die Clans sind zusammengekommen«, begann Saeunn mit ihrer krächzenden Rabenstimme. »Die Ältesten haben einen Entschluss gefasst. Renn. Geh jetzt.«
    Renn hob widerspenstig das Kinn.
    »Geh.«
    Trotzig wandte sich Renn Torak zu. »Ich habe gemeint, was ich sagte.« Dann war sie verschwunden.
    Die Rabenschamanin hieß Torak, seine Habseligkeiten zusammenzuraffen, und wartete am Eingang der Hütte, die magere Klauenhand um den Stab gekrampft. Ihre tiefliegenden Augen musterten ihn ungerührt. Ein Leben in der Welt der Geister hatte sie unempfänglich für menschliche Gefühle gemacht.
    »Kein Schlafsack«, krächzte sie.
    »Warum nicht?«, fragte Torak.
    »Ein Ausgestoßener gleicht einem Toten.«
    Torak wurde speiübel. Bisher hatte er sich noch an die Hoffnung geklammert, dass Fin-Kedinn ihn vielleicht würde retten können.
    Unterdessen hatte der Regen eingesetzt, trommelte auf das Lederdach der Hütte und brachte das Feuer zum Qualmen. Er packte das letzte Stück Ausrüstung ein und ließ den Blick durch die Hütte schweifen. Der Unterschlupf war ihm nicht selten zuwider gewesen, und er hatte sich nie recht daran gewöhnen können, dass die Raben ihr Lager für drei oder vier Monde an einer Stelle aufzuschlagen pflegten, statt durch die Wälder zu streifen. So wie er früher mit Fa. Inzwischen konnte er sich nicht vorstellen, das Lager zu verlassen und nie mehr zurückzukehren.
    »Es ist Zeit«, sagte Saeunn.
    Er folgte ihr auf die Lichtung.
    Die Clans hatten sich um ein großes Langfeuer geschart. Es war noch nicht Abend, doch Regenwolken verdunkelten den Himmel und verwandelten den Tag in eine vorzeitige Dämmerung. Torak war froh über den Regen. So würden die anderen denken, dass er vor Kälte

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