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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Willenskraft kommen sollte.
    Andererseits war Bale kräftig und er besaß obendrein ein Boot.
    Gerade als sie diese Vorteile erwog, stand Bale auf, packte seine Trage und schulterte das Boot.
    Renn fragte ihn, wohin er ging.
    »Zum Axtkopfsee. Und du gehst zurück zu deinem Clan. Ich finde Torak.«
    »Wie bitte?«
    »Jedenfalls setzt du keinen Fuß in mein Boot.«
    »Daran würde ich im Traum nicht denken«, log sie.
    »Zu Fuß kannst du bei meinem Tempo sowieso nicht mithalten.« Er seufzte, als er ihre störrische Miene sah. »In meiner Heimat bleiben die Frauen an Land. Jagen und Fischen ist Männersache.«
    Renn schnaubte. »Mag sein. Wir Waldleute halten es da anders.«
    »Schon möglich. Aber ich gehöre nun mal zum Robbenclan. Geh zum Lager zurück, Renn. Du kommst nicht mit.«
    Ungläubig sah sie zu, wie er zu einer seichten Stelle am Ufer stapfte. »Selbst wenn du den See je erreichen solltest«, rief sie ihm hinterher, »wie soll’s dann eigentlich weitergehen? Du kennst doch weder die Gegend noch die Otter!«
    »Ich schlag mich schon durch«, tönte es unbeirrt zurück.
    »Von mir aus! Aber eins kann ich dir sagen: Mit den Seelenessern wirst du nicht fertig, bloß weil du geschickt mit dem Ruder umgehen kannst.«
    »Das werden wir ja sehen!«

    »Und ob wir das sehen werden«, fauchte Renn und kämpfte sich wütend durch das Brombeerdickicht.
    An diesem Abschnitt des Axtknaufflusses führte kein Pfad entlang – zumindest hatte sie keinen entdecken können  – und sie war schweißüberströmt, zerkratzt und wütend. Dass sie ständig daran denken musste, wie Bale in seinem Boot unbeschwert und zügig flussaufwärts paddelte, machte die Sache auch nicht besser.
    Über den Stromschnellen legte sie eine kurze Rast ein und schlug sich anschließend mühsam durch das dichte, sumpfige Erlengebüsch. Der verschlungene Flusslauf mit den vielen Buchten war für viele Clans eine beliebte Stelle zum Fischen. In einer der Buchten waren Angeln und Fischköder ausgelegt worden, und Renn fragte sich gerade, wer das wohl gewesen sein mochte, als sie am Ufer einen hellen Schopf aufblitzen sah.
    Bale hatte sie noch nicht bemerkt. Er kniete neben seinem kieloben liegenden Hautboot und flickte einen kleinen Riss.
    »Gibt’s Schwierigkeiten?«, rief sie.
    »Kleiner Riss von einem Fischhaken«, schrie er zurück, ohne auch nur den Kopf zu drehen.
    »O weh«, sagte Renn betont gleichgültig.
    »Das ist doch wirklich eine Gemeinheit«, platzte Bale heraus. »Einfach Angelhaken auszulegen, an denen man sich verletzen kann. Sie hätten irgendein Zeichen hinterlassen müssen.«
    »Haben sie auch. Oder hast du etwa die Weidenbaststreifen an den Bäumen übersehen? Die hinterlassen die Waldleute als Warnung an ihren Angelplätzen.«
    Bale hüllte sich in Schweigen.
    »Weiterhin viel Glück«, sagte Renn heiter lächelnd. »Hoffentlich hält dich der kleine Zwischenfall nicht allzu lange auf.«
    Bale begnügte sich mit einem finsteren Blick.
    Grinsend marschierte Renn weiter.
    Doch das Lachen verging ihr bald. Am anderen Ufer erkannte sie jetzt den Abzweig zu jener Klamm, in der sie und Torak im vorletzten Herbst zum ersten Mal dem Streuner begegnet waren. Wolf war damals noch ein Welpe gewesen, und Torak hatte ihn, wenn ihm die Pfoten wehtaten, auf den Armen getragen.
    Mit einem Mal übermannte sie eine große Sehnsucht nach den beiden.
    Die Kiefern wichen hohen Eichen und der Wald schien sie misstrauisch zu belauern. Renn wünschte, Bale würde in seinem Hautboot vorübergleiten. Es konnte doch unmöglich so lange dauern, einen Flicken auf den Riss zu nähen?
    Kurz darauf lugten Rehkitzzwillinge aus dem dichten Farn und kamen auf winzigen Hufen auf Renn zugesprungen. Die Tiere waren schon beinahe in Reichweite, ehe sie erschrocken die Flucht antraten.
    Renn legte die Hand auf ihre Rabenfeder. Wenn ein Tier sich ungewöhnlich verhält, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, war das nicht selten ein Zeichen. Aber was hatte es zu bedeuten?
    Am Spätnachmittag erklomm sie den Steilhang, dem die Clans den Namen Keilerrücken verliehen hatten. Oben angekommen, blieb sie stehen und ließ den Blick über den See schweifen.
    Die Strahlen der tief stehenden Sonne verwandelten das Wasser in blankes Gold. Kleine Inselgrüppchen sprenkelten die weite stille Fläche wie zarte Blätter und direkt unterhalb der Anhöhe bewachte hohes Schilf den westlichen Strand. Eine Ansammlung schwarzer Punkte im Süden verriet ihr, dass dort die Otter ihr

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