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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Augenblick lang leuchtete seine finstere Miene vor Stolz. »Der See ist uns Mutter und Vater. Alles Leben kommt aus dem See, alles Leben muss in ihn zurückkehren.« Dann setzte er wieder seine verschlossene, finstere Miene auf. »Wir erwarten nicht, dass Fremde uns verstehen.«
    »Ich bin keine Fremde«, sagte Renn. »Ich gehöre zum Weiten Wald, genau wie ihr.«
    »Du gehörst nicht zum Otterclan!«, raunzte er. »Kein Wort mehr.«
    Eingehüllt in grünlichen Qualm, schien das Otterlager über dem See zu schweben, lediglich durch einen langen schmalen Steg mit dem Festland verbunden.
    »Es steht auf Pfählen«, stellte Bale erstaunt fest.
    Ein Wald aus Pfahlhölzern ragte aus dem Wasser auf und auf den hölzernen Plattformen erhoben sich die breiten geflochtenen Kuppeln der Schilfhütten. Bitter riechende Rauchschwaden quollen ihnen entgegen und trugen ihnen kräftigen Fischgeruch zu. Auf Pfählen qualmten kleine Schwelfeuer; Männer und Frauen starrten auf sie herab, die Augen in den grünen Gesichtern weit aufgerissen.
    Renn konnte es einfach nicht fassen. Die Otter galten gemeinhin als fröhliches, verspieltes Völkchen, genau wie ihr Totemtier. Irgendetwas war passiert.
    Außerdem war jedes Gesicht mit grüner Lehmfarbe bemalt. Bisher hatte Renn diese Bemalung noch nie gesehen, sondern nur gehört, dass sie den Ottern heilig war. Der grüne Lehm kam von einem verborgenen Ort am Nordufer und wurde eigens mit Fischtran angerührt. Normalerweise benutzten die Otter diese Farbe nur, um die Kranken und Toten zu schützen. Renn fragte sich, aus welchem Grund der gesamte Clan die Bemalung trug.
    Yoluns Gefährte machte das Boot an einem der äußeren Pfähle fest. Über ihrem Kopf öffnete sich eine Luke und eine Strickleiter wurde ausgerollt. Yolun befahl ihnen, hinaufzuklettern.
    Oben war alles dicht in säuerlich riechenden Dunst eingehüllt. Jetzt erst erkannte Renn, dass es sich bei dem, was sie für Schwelfeuer gehalten hatte, in Wahrheit um große Brocken Zunderschwamm handelte – vermutlich um lästige Stechmücken abzuhalten. Die Otter starrten immer noch reglos auf die Neuankömmlinge.
    Man schob die beiden in die größte Hütte, rauchgeschwängert und von Binsenlichtern erhellt. Beim Eintreten schlug Renn ein derart betäubender Gestank nach verdorbenem Fisch entgegen, dass sie beinahe zurückprallte. Den Ottern schien es jedoch nichts auszumachen und sogar Bale krauste nur kurz die Nase. Auch Renn ließ sich aus Höflichkeit nichts anmerken.
    Nachdem alle in die Hütte gekrochen waren, befahl Ananda, Essen zu bringen. Als sie Renns überraschtes Gesicht bemerkte, sagte sie: »Hier am See gibt es ein Sprichwort : Der Fremde ist so lange Gast, bis er sich als Feind erweist.«
    Yolun schnaubte vielsagend, als gebe es bereits mehr als genug Beweise dafür, dass Renn und Bale Feinde waren.
    »Wir sind keine Feinde«, sagte Bale.
    »Das behauptest du«, erwiderte Ananda. »Esst.«
    Stille trat ein, während ein Junge und eine junge Frau fischförmige Schüsseln aus engmaschigem, geflochtenem Riedgras hereintrugen, in denen sich Grütze aus Schilfblattsamen befand, sowie ein Körbchen mit gebackenem Schilfrohr, außen verkohlt, nach dem Schälen der Rinde jedoch weiß und nahrhaft.
    Renn erkannte die junge Frau sofort. Sie hatte früher zu den Raben gehört und sich im letzten Sommer mit einem Otter verbunden. »Dyrati?«
    Dyrati wich ihrem Blick aus. »Esst«, wiederholte sie nur und löffelte eine graue, gallertartige Masse über Renns Grütze. Es sah aus wie dicker Honig, aber der durchdringende Gestank nach verdorbenem Fisch trieb Renn Tränen in die Augen.
    »Stichlingsschmalz«, sagte Dyrati. »Esst jetzt.«
    »Esst!«, fuhr sie jetzt auch Yolun an. »Oder verachtet ihr unsere Speisen?«
    Alle beobachteten Renn.
    Sie stocherte in dem stinkenden Schmalz und spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte.
    Bale eilte ihr zu Hilfe. »Sie ist das Rudern nicht gewohnt, ihr muss wohl der Appetit vergangen sein.« Er leerte ihre Schüssel in seine und machte sich unter sichtlichem Wohlbehagen darüber her – woraufhin die feindseligen Mienen der Otter prompt einen freundlicheren Ausdruck annahmen.
    »Wie kriegst du dieses Zeug bloß runter?«, flüsterte Renn.
    »Ich mag’s eigentlich ganz gern«, murmelte er. »Wir haben auf den Inseln was Ähnliches, bereiten es aber aus Kabeljau zu.«
    »Also, ihr fragt euch gewiss, warum wir euch keinen Fisch anbieten«, sagte Ananda. »Sogar das Stichlingsschmalz ist vom

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