Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
Vom Netzwerk:
Lager aufgeschlagen hatten, und im Osten brodelte der grausame weiße Strahl des Eisflusses.
    Renn war acht Sommer alt gewesen, als sie zum letzten Mal an dieser Stelle gestanden hatte: verwirrt und unfähig zu begreifen, warum Fa nie mehr zurückkommen würde. Die Otter hatten seine Leiche gefunden und Fin-Kedinn und Saeunn hatten sich aufgemacht, um seine verstreuten Seelen zu retten. Fin-Kedinn hatte damals darauf bestanden, dass Renn sie begleiten sollte. Gemeinsam hatten sie hier auf dem Keilerrücken gestanden und über den See geblickt.
    »Warum hat er den weiten Weg gemacht?«, hatte Renn ihren Onkel gefragt. »Am Eisfluss gibt es doch gar keine Beute.«
    »Er war nicht auf der Jagd«, murmelte Fin-Kedinn.
    »Was wollte er dann?«
    »Das erzähle ich dir, wenn du größer bist.« Er hatte seine große warme Hand um die ihre gelegt und sie hatte sich schutzsuchend an ihn geschmiegt.
    Nun stand sie wieder auf dem Keilerrücken, aber diesmal war kein Fin-Kedinn hier, an den sie sich hätte klammern können.
    Als sie den Fuß des Steilhangs erreicht hatte, musste sie sich eingestehen, auf welch hoffnungsloses Unterfangen sie sich eingelassen hatte. Sie wusste nicht, welchen Weg Torak eingeschlagen hatte, und hier war keine Menschenseele, die sie hätte fragen können. Am Ufer führte kein Pfad entlang – die Otter waren ausschließlich in ihren Booten unterwegs –, und selbst wenn es ihr gelingen sollte, sich bis ins Otterlager durchzuschlagen, was würde ihr das nutzen?
    Als sie sich eben einen Weg in Richtung Süden bahnen wollte, raschelte es im Schilf.
    »Bale?«, fragte sie unsicher.
    Stille. Nur das Knarren und Ächzen des Schilfs, als würde sich jemand langsam zwischen den hohen Gräsern nähern.
    Renn wich zurück und wäre dabei um ein Haar über eines der Sumpfgrasbüschel gestolpert. »Bale!«, flüsterte sie. »Wenn du dort steckst, komm raus. Das ist nicht komisch.«
    Das Schilf erzitterte, teilte sich – und ein Boot glitt auf sie zu. Ein grüner Mann, der aus verschimmeltem Schilf bestand, starrte sie an.
    Renn machte einen Satz rückwärts – und prallte gegen etwas Solides.
    »Was ist denn das ?«, sagte Bale hinter ihr.

    »Was war das?«, wiederholte er, als sie sich in sichere Entfernung in eine Bucht am südlichen Rand des Schilfes zurückgezogen hatten.
    »Ich glaube, die Otter haben es gemacht«, sagte Renn. »Damit erweisen sie dem See ihre Ehrerbietung. Sie legen Verpflegung hinein und lassen es treiben, wohin es will. Es ist heilig. Wir hätten es nicht sehen dürfen.«
    Bale biss sich auf die Lippe. »Ich bin froh, dass ich dich getroffen habe. Hier ist es wirklich ziemlich merkwürdig. Ich verstehe das alles überhaupt nicht.«
    Renn zuckte die Achseln. »Tja, ich brauche ein Boot, daher bin ich ebenfalls froh, dass ich dich getroffen habe.« Es klang viel unfreundlicher als beabsichtigt und sie fuhr rasch fort: »Zuerst müssen wir dem See unsere Ehrerbietung erweisen. Die Otter erbitten für alles seine Erlaubnis.«
    »Was müssen wir dafür tun?«
    Ein wenig befangen legte Renn ein Opfer aus Lachsfladen in der Nähe des Schilfes nieder. Dann verrührte sie Erdblut und Seewasser zu einer zähen Paste und betupfte Stirn und Bogen damit, während sie den See bat, sie in Frieden ziehen zu lassen. Bales Stirn betupfte sie ebenfalls sowie sein Boot, was allerdings einiger Überredungskünste bedurfte. Anschließend nahmen sie ein Mahl aus Räucherfleisch zu sich und Bale flocht eine Reuse aus Silberweiden und legte sie aus.
    Während die Sonne allmählich unterging, flaute der Wind ab. Die stille Oberfläche des Sees schimmerte wie polierter Basaltstein.
    »Die Natternschamanin«, sagte Bale mit ruhiger Stimme, »verfolgt Torak, weil er ein Seelenwanderer ist, oder?«
    »… Ja«, erwiderte Renn zögernd und wünschte, er hätte Seshrus Namen nicht laut ausgesprochen.
    »Außerdem will sie den Feueropal.«
    »Ja«, sagte Renn erneut und fügte mit gesenkter Stimme hinzu: »Es ist das letzte Stück. Eines ist mit der Fledermausschamanin im schwarzen Eis geblieben. Das andere mit dem Robbenschamanen im Meer versunken.«
    »Der Robbenschamane?«, fragte Bale überrascht. »Er besaß ein Stück des Feueropals?«
    »Wie hätte er sonst die Tokoroths erschaffen sollen?«
    Bale runzelte die Stirn. Vermutlich erinnerte er sich an die schlimme Zeit auf seiner Insel, als der Robbenschamane die Krankheit heraufbeschworen hatte. Bales kleiner Bruder war ihr damals zum Opfer gefallen.
    Ein

Weitere Kostenlose Bücher