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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Renn die Nägel in ihren Handteller grub.
    Bale wirkte eher verblüfft. »Aber – sie ist doch bloß eine Frau. Wie viel Unheil kann sie schon anrichten?«
    »Mehr, als du ahnst«, versicherte Fin-Kedinn.
    Saeunn musterte Renn forschend. »Du hast sie zuletzt gesehen. Erzähle ihm, wer sie ist.«
    Aber Renn brachte kein Wort heraus. Mit einem Mal war sie wieder im Steinwald, im unruhigen Licht der Fackeln und dem abscheulichen Gestank des Gemetzels, sah die sich ringelnde Schlangenmähne der maskierten Natternschamanin herumwirbeln, hörte ihr Zischen, als sie die Anderwelt mit blinden Augenschlitzen rief …
    »Renn«, sagte Fin-Kedinn leise.
    Sie holte tief Luft. »Sie handelt hinterhältig und tückisch. Wie eine Schlange. Sie lügt. Sie gaukelt dir Dinge vor, die es gar nicht gibt. Sie zwingt dir ihren Willen auf und bringt dich dazu, bestimmte Dinge zu tun.«
    »Ich verstehe das nicht«, sagte Bale. »Ich habe beim Sippentreffen mit einigen Nattern gesprochen, und sie meinten, unter ihnen habe es niemals eine Schamanin gegeben, die sich in eine Seelenesserin verwandelt habe. Wie kann diese Seshru dann …«
    »Sie ist wie eine Schlange«, erklärte Fin-Kedinn. »Schlüpft aus einer Haut heraus und in die nächste hinein.«
    Bale war sprachlos vor Entsetzen. »Sie hat ihren Namen gewechselt? Das würde doch niemand tun! Das ist so, als wäre man gestorben.«
    »Nichts anderes bedeutet es, ein Seelenesser zu sein«, sagte Renn. »Du opferst alles, was du gewesen bist. Du lebst einzig und allein für die Macht.«
    Bale starrte sie an, als sähe er sie zum ersten Mal.
    Fin-Kedinn hob die Knochen auf und ließ sie nachdenklich von einer Hand in die andere fallen. »Jetzt wissen wir also Bescheid. Toraks Seele ist krank – und der Gnade der Natternschamanin ausgeliefert.«
    »Die Natternschamanin kennt keine Gnade«, gab Saeunn zurück.

    Am nächsten Morgen erwachte Renn in aller Frühe und machte sich auf die Suche nach Fin-Kedinn.
    Sie stöberte ihn an einer seichten Uferstelle auf, wo ein kleiner Bach in den Axtknauffluss mündete. Er fischte Hechte. Als er Renn sah, zog er die Angelrute ein. Der Haken war leer.
    »Was gibt es, Renn?«, fragte er mit ernster Miene. Offenbar ahnte er bereits, was sie zu ihm führte.
    »Ich will dich nicht belügen«, sagte sie. »Und ich will mich auch nicht heimlich davonschleichen. Aber ich muss einfach versuchen, …«
    »Nein. Ich will kein Wort davon hören«, unterbrach er. »Erzähl mir nichts, was du nicht auch jedem anderen Anführer erzählen könntest.«
    Renn biss sich auf die Lippe. »Er ist irgendwo allein dort draußen. Und seine Seele ist krank.«
    »Ich weiß.«
    »Warum kommst du dann nicht mit mir?«
    »Ich darf das Clangesetz nicht brechen.« Er sah ihr in die Augen. »Insbesondere du solltest nicht versuchen, Torak zu helfen. Was ist, wenn sie bereits Besitz von ihm ergriffen hat? Ein Seelenwanderer in der Hand einer Seelenesserin. Ich kann mir nichts Gefährlicheres vorstellen.«
    »Er ist mein Freund, ich muss ihm einfach helfen. Das verstehst du doch, oder?«
    Fin-Kedinn blieb stumm.
    »Fin-Kedinn? Das verstehst du doch!«
    Er sah plötzlich sehr erschöpft aus. »Du bist kein Kind mehr, Renn, und alt genug, deine eigenen Entscheidungen zu treffen.«
    Nein, das stimmt nicht!, hätte sie am liebsten gerufen. Ich brauche deine Hilfe. Sag mir doch, was ich tun soll!

    An diesem Abend saß Renn an einem kleinen, qualmenden Feuer am Ufer des Axtknaufes. Sie fühlte sich schrecklich einsam und verängstigt.
    Das Clangesetz zu brechen war noch schlimmer gewesen, als sie befürchtet hatte. Mit einem einzigen Schnitt hatte sie die Bande zu ihrem Clan und Fin-Kedinn durchtrennt.
    Sie rückte dichter an die Flammen und blies in ihre Hühnerknochenpfeife, erhielt jedoch keine Antwort. Torak und Wolf waren weit fort.
    Renn spürte Macht durch sich hindurchströmen, spürte Geheimnisse an die Oberfläche aufsteigen wie Splitter, die sich in ihr Fleisch bohrten. Obwohl Renn sich seit jeher von der Schamanenkunst hatte fernhalten wollen und sie verabscheute, ahnte sie, dass ihr, wenn sie Torak helfen wollte, am Ende nichts anderes übrig bleiben würde, als diese Kunst anzuwenden. Denn irgendwo dort draußen steckte Seshru.
    Hass flammte in ihr auf, und sie erkannte den Plan der Seelenesserin so deutlich, als sei es ihr eigener. Seshru jagte Torak auf die gleiche Weise, wie ihr Totemtier seine Beute erjagt. Die Natter schlägt die giftigen Fänge in ihr Opfer und

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