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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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einsamer, zitternder Schrei hallte in der Stille.
    Bale war mit einem Satz auf den Füßen. »Was war das denn schon wieder?«
    »Ein Tauchvogel«, sagte Renn. »Sie sind ausgezeichnete Schwimmer. Die Otter bringen ihnen ebenfalls Opfer dar.« Sie hielt inne. »Fin-Kedinn sagt, die Otter seien wie ihre Totemtiere. Sie lassen immer kleine Häufchen mit halb zerkautem Fisch am Ufer zurück.«
    Eine Forelle sprang hoch, fiel platschend in den See zurück, und die beiden zuckten erschrocken zusammen.
    Dann stand Bale auf, schüttelte sich und ging zum Ufer, um einen prüfenden Blick in die Reuse zu werfen.
    Renn blieb gedankenversunken am Strand zurück.
    »Renn«, rief Bale plötzlich. Seine Stimme klang seltsam verändert.
    »Was ist?«
    »Komm mal her und sieh dir das an.«

Kapitel 18

    Die fette Brasse warf sich wie wild in der Reuse hin und her. Es war ein guter Fang – wenn man davon absah, dass das Tier zwei Köpfe hatte. Der zweite mundlose und scheußlich entstellte Kopf wand sich wie ein Riesengeschwür und kämpfte mit wilder Mordlust gegen seinen Zwilling an.
    »Wie kommt so etwas zustande?«, fragte Bale mit verzerrtem Gesicht.
    »Töte es«, sagte Renn.
    »Nein!«, befahl eine Stimme hinter ihnen. »Gebt es dem See zurück und berührt es nicht.«
    Hinter ihnen stand eine Jägerschar mit grünen Gesichtern und scharfen Speeren.
    Bale schob sich schützend vor Renn, die sich jedoch sofort aus der Deckung löste und einen Schritt zur Seite trat. Sie legte die Fäuste aufs Herz und wandte sich der Frau zu, bei der es sich – ihrer Armbinde aus Otterfell nach zu schließen – um die Anführerin des Trupps handelte.
    »Ich gehöre zum Rabenclan«, sagte sie, »mein Freund zu den Robben. Wir wollen euch nichts Böses.«
    »Schweig!«, mahnte die Angesprochene und fügte, an die anderen gewandt, hinzu: »Gebt dem See das verfluchte Ding zurück. Die Fremden nehmen wir mit in unser Lager.«
    »Aber wieso, Ananda?«, widersprach ein Mann. »In diesen Zeiten …«
    »In diesen Zeiten, Yolun«, beschied die Anführerin, »können wir sie nicht einfach ihrer Wege ziehen lassen. Sie würden alles nur noch schlimmer machen.«
    Der Mann, Yolun, presste die Lippen aufeinander und verfiel in finsteres Schweigen, während zwei andere die Reuse aufbrachen und die Missgestalt freiließen.
    Danach ging alles blitzschnell. Renn und Bale wurden gepackt und zusammen mit Yolun und einem anderen Mann in eines der Schilfboote gesetzt. Als sie sich zu wehren versuchten, drückte man ihnen Messer ins Kreuz, und so mussten sie zusehen, wie man ihre Ausrüstung in Bales Boot warf und dieses am Heck eines anderen Schilfbootes festband.
    Die Boote fuhren Richtung Süden. Renn spürte, wie Bale, der neben ihr saß, vor Wut zitterte. Sie warf ihm einen warnenden Blick zu und schüttelte nachdrücklich den Kopf. Gegenwehr war zwecklos. Die Otter waren bis an die Zähne bewaffnet, ihre Pfeilspitzen hatten sie mit den Schnäbeln der Sterntaucher geschmückt. An Flucht war nicht zu denken. Man hatte sie nur deswegen nicht gefesselt, weil es sowieso überflüssig war.
    Renn ließ kein Auge von Yolun, der am Bug kauerte und mit heftigen Ruderschlägen durchs Wasser pflügte. Sein Wams aus Fischhaut war an Hals und Saum verschossen und durch manche der besonders dünnen Stellen blitzte das Untergewand aus Schilfgeflecht. Seine mit Erdblut umrandeten Augen ahmten den durchdringenden Blick des Sterntauchers nach. Hin und wieder warf er den beiden einen ausgesprochen hasserfüllten Blick über die Schulter zu, aber unter seiner Feindseligkeit vermeinte Renn, noch etwas anderes zu erspüren.
    Bale beugte sich zu ihr und flüsterte: »Ihre Boote sind ziemlich schwerfällig und langsam. In meinem Hautboot könnten wir ihnen entkommen.«
    »Und wohin sollen wir flüchten?«, flüsterte sie zurück. »Sie kennen den See viel besser als wir. Außerdem kommen sie mir eher verängstigt als wütend vor.«
    »Das macht sie nur noch gefährlicher.«
    Und damit hatte Bale gewiss recht.
    Obwohl die Schilfboote den Hautbooten an Schnelligkeit weit unterlegen waren, kamen die Otter gut voran und steuerten behände zwischen den vielen Inseln des Sees hindurch. In der hellen Sommernacht kam allmählich das Lager in Sicht.
    Ebenso wie Bale sah Renn dieses Lager zum ersten Mal und schnappte, genau wie er, bei dem Anblick nach Luft.
    »Warum leben sie so?«, murmelte er.
    »Um dem See nahe zu sein«, sagte Yolun. Er hatte das Ruder beiseitegelegt und einen

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