Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)
Westen.
Doch mitten im Zauber, als sie sich mit den Beinen an der Wand des schlingernden Bootes abstützte und Bales Schulter umklammerte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren, spürte sie, wie sich ein machtvoller Wille dem ihren entgegenstemmte.
Ich spüre deine Absicht … Es wird dir nicht gelingen.
Renns Knie gaben nach und beinahe wäre sie umgefallen.
Es wird dir nicht gelingen.
Sie versuchte, die fremde Macht auszublenden, doch vergebens. Diese Macht war stärker als der Otterschamane, sogar stärker als Saeunn! Sie besaß die grässliche Kraft der Seelenesser und sie ließ sich nicht vom armseligen Zauber eines ungeübten Mädchens übertölpeln.
Der Weltgeist riss die Wolken auf und der Hagel kam herabgeprasselt und trommelte wie Pfeile aus Eis in ihre Gesichter.
Bale wendete das Boot. »Felsen! Vor uns sind Felsen!«
Renn hob ein letztes Mal die Faust. »Flieg! Flieg dem Seelenkranken zu Hilfe!« Der Wind riss ihr Toraks Haare aus den Fingern und verteilte sie über dem See. Als das Boot plötzlich ruckartig nach oben schnellte und aus dem Wasser sprang, wurde Renn rückwärts umgeworfen.
»Wir sind auf einen Felsen aufgelaufen!«, schrie Bale. »Halte dich am Boot fest! Nicht loslassen! «
Der Hagelsturm wanderte donnernd nach Westen weiter und trug Renns Zauber mit sich. Er wehte über den See, beugte das Schilfrohr und fuhr auf die Insel des Verborgenen Volkes nieder.
Am Rande des schwarzen Strandes peitschten die Kiefern und darunter erbebte Toraks elender Unterschlupf. Kiefernzapfen und Äste regneten herab. Dann fiel etwas Schweres aus einem Baum und knallte dumpf auf das Dach…
… und Torak erwachte.
Kapitel 21
Torak kauerte auf seinem stacheligen Bett aus Kiefernnadeln und hörte zu, wie der Weltgeist die Bäume bestrafte.
Er hatte schreckliche Angst vor dem Hagel und vor dem, was da aufs Dach gefallen sein mochte. Er hatte vor allem und jedem Angst: vor dem See, dem Verborgenen Volk und besonders vor den Wölfen. Sie warteten im Wald auf ihn. Manchmal sah er den großen Grauen außerhalb der Steinwurfweite herumschleichen. Er lauerte lediglich auf einen günstigen Moment, um ihn anzufallen.
Wegen der Wölfe hatte er sich nicht mehr in den Wald gewagt. Stattdessen hatte er seine Vorräte mit vom Frost verschrumpelten Beeren und geschwärzten Pilzen gestreckt, und gelegentlich gelang es ihm auch, eines dieser schleimigen grünen Hüpfdinger zu erwischen.
Die Welt ergab keinen Sinn mehr. Der Himmel schrie auf ihn ein und von den Bäumen bewarfen ihn kleine rote Wesen mit hölzernen Früchten. Grüne Blitze schossen vorüber und lachten ihn aus, glatte braune Kreaturen tauchten aus dem Wasser auf und schimpften mit ihm. Wenn er schlief, kam ein Ungeheuer und nagte an seinem Unterschlupf, und wenn er aufwachte, sah er Äste gegen die Strömung dahintreiben.
Wieder plumpste etwas mit dumpfem Knall auf sein Dach. Diesmal kreischte es auf.
Torak kniff die Augen fest zusammen.
Zumindest hatte sich der Sturm gelegt und es hagelte auch nicht mehr. Zitternd vor Furcht nahm er die Axt und kroch nach draußen.
Das Eis hatte das Unterholz platt gedrückt und Äste abgerissen; es hatte die Ufersteine in harte, durchscheinende Kiesel verwandelt, die unter seinen nackten Füßen knirschten. In einem Flecken zermalmten Farnkrauts rührte sich etwas.
Nein. Zwei Etwas rührten sich dort. Zwei große schwarze Vögel.
Torak packte die Axt fester und schlich sich näher.
Der größere der beiden stieß einen gellenden Schrei aus und flatterte mit den Flügeln, wohingegen der kleinere den Kopf einzog und so tat, als sei er nicht da.
Torak sah hoch oben in einem Baum die Überreste eines zerstörten Nestes. Die Vögel mussten herausgefallen, auf seinen Unterschlupf geprallt und dann ins Farngestrüpp gepurzelt sein.
Er machte noch einen Schritt auf sie zu – was sofort aufgeregtes Flügelschlagen und hohes durchdringendes Kreischen auslöste.
Erstaunt stellte er fest, dass sie Angst vor ihm hatten.
Er sah, dass sie in den Schnabelecken ganz zerknittert und rosig waren, und obwohl ihre Flügelspannweite beinahe so weit maß wie seine ausgestreckten Arme, führte das ganze Geflatter zu überhaupt nichts.
»Ihr könnt nicht fliegen«, sagte er laut.
Daraufhin hörte das Flattern sofort auf. Sie kauerten sich aneinander und sahen ihn, zitternd vor Angst, an.
Sein Bauch zog sich zusammen. So viel Fleisch. Und da sie nicht fliegen konnten, waren sie leichte Beute für ihn.
Zu seinem
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