Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)
blaffte sie zurück.
Er hob eine Augenbraue, sagte aber nichts.
Unter den Blicken von Ananda und einer Gruppe schweigender Otter gingen sie zur Luke und kletterten die Strickleiter hinab in ihr Boot.
»Unsere Sachen sind alle verstaut«, sagte Bale, als er das Boot losmachte und sich abstieß. »Fahren wir, ehe sie es sich anders überlegen.«
Die Strömungen im See waren tückisch und das Boot geriet häufig in wildes Schaukeln. Mehrere Male wäre Renn beinahe über Bord gefallen.
»Es mag kein Süßwasser«, sagte Bale, der sich bemüßigt fühlte, die Zicken des Bootes zu entschuldigen. »Außerdem ist es mein Fehler. Es liegt hier viel tiefer im Wasser als im Meer. Das ist ungewohnt für mich.«
Trotz ihres Biberfellmantels, den sie in einer der Tragen gefunden hatte, war Renn, die hinter ihm kauerte, schon bald durchnässt. Sie kam sich vor wie eine unnütze Last. Bale war nicht nur viel stärker als sie, sondern verstand sich auch bedeutend besser darauf, ein Boot zu steuern, und als sie versuchte, ihm zu helfen, stieß sie immer wieder mit ihrem Paddel gegen seines.
Um sich nicht gänzlich nutzlos vorzukommen, zog sie ab und zu ihre Hühnerknochenpfeife heraus und pfiff nach Wolf. Aber er antwortete nie, was die Sache nur noch schlimmer machte.
Wenn sie an das dachte, was vor ihnen lag, wurde ihr angst und bange. Sie wird ihre Macht einsetzen, hatte der Otterschamane gesagt. Aber Renn wollte ihre Macht nicht einsetzen, niemals.
In einer geschützten Bucht schlugen sie ihr Nachtlager auf. Die Nahrung aus dem Wald war längst aufgebraucht, aber die Otter hatten sie mit Lachshäuten voll mit geröstetem Rohrpollen ausgestattet, aus dem sie eine trübe Schleimsuppe anrührten.
Bale wirkte gedankenverloren. Nachdem sie gegessen hatten, sagte er: »Was meinte die Otterschamanin, als sie sagte, du hättest Angst vor deiner Macht?«
Renn riss sich zusammen.
»Sie meinte die Schamanenkunst, oder?« Als Renn immer noch nicht antwortete, sagte er: »Wenn wir Torak nicht finden, ist es vielleicht die einzige Lösung. Du besitzt die Fähigkeiten. Warum benutzt du sie nicht?«
»Du hast leicht reden«, murmelte sie.
»Für Torak. Du würdest es für Torak tun?«
Keine Antwort.
»Wovor hast du Angst?«
»Ich habe keine Angst!«
Danach schwiegen sie. Bale bockte das Boot auf Treibholzstöcken auf und verwandelte es mithilfe einiger darüber gelegter Kiefernzweige in einen kleinen Unterstand, dann rollte er sich in seinen Biberfellmantel ein und kehrte ihr den Rücken zu. Es dauerte noch lange, bis Renn endlich einschlief.
Am folgenden Tag paddelten sie nach Osten, entdeckten aber nirgendwo ein Zeichen von Torak. Renn hatte nicht das Gefühl, dass sie sich ihm näherten, spürte aber gleichwohl, dass sie sich irgendetwas näherten. Die Angst in ihr wuchs.
Als die Sonne sich dem Horizont zuneigte, wurden sie von einem kräftigen Ostwind geschaukelt, und Bale hatte alle Hände voll zu tun, damit sie vorwärts kamen. Dann, als sie eine Insel umrundet hatten, wehte ein eisiger Hauch über Renns Gesicht, und dort war er: Vor ihnen lag das unerbittliche Gleißen des Eisflusses.
Die Angst in ihrem Bauch verwandelte sich in Stein. Irgendwo dort draußen hatte ihr Vater den Tod gefunden.
Bale drehte sich um. »Das kommt mir nicht richtig vor. Warum sollte er dorthin gehen? Dort gibt es keine Beute, überhaupt nichts!«
»Der Otterschamane hat gesagt, dass wir das, was wir suchen, im Osten finden.« Aber Renn wusste besser als jeder andere, dass es sich bei den Prophezeiungen von Schamanen um heikle Angelegenheiten handelte, die völlig verschiedene Bedeutungen haben konnten.
Als sie näher paddelten, schlug die kühle Luft in frostigen Wind um, und das Eis wurde blau. Renn verrenkte sich den Hals und suchte die schimmernden Klippen ab, die hoch über ihnen aufragten. Sie hörte zwar das Tröpfeln von Schmelzwasser, konnte aber nichts davon sehen. Nirgendwo stürzten sich Bäche von den Klippen herab, überall war nichts als blendendes blaues Eis zu sehen.
»Wir sind zu dicht dran«, sagte Bale. »Es ist besser, wenn wir umkehren, und in der Bucht, an der wir vorbeigerudert sind, ein Lager aufschlagen. Weiter nach Osten kommen wir nicht.«
In dieser Nacht sah Renn im Schlaf Torak.
Er kauerte auf einem Strand aus schwarzem Sand, seine Kleidung hing in Fetzen, sein Gesicht war verstört und hoffnungslos, während er mit einem flammenden Holzscheit wieder und wieder zuschlug – er schlug auf Wolf ein.
Renn
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