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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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konnten.
    Das meiste konnten sie fressen. Sie fraßen Beeren, Grillen, Frösche, Kot und auch Toraks Kleidung, wenn er es ihnen erlaubt hätte. Aber obwohl sie sich nach und nach mit ihren großen Schnäbeln sehr geschickt anstellten, zogen sie es vor, Nahrung zu stehlen, als sie sich selbst zu fangen.
    Auch dabei waren sie höchst geschickt. Als Torak seinen ersten winzigen Fisch mit einem Brombeerdorn an einer Schnur fing, war er so stolz darauf, dass er damit sofort zu ihnen eilte. Am folgenden Tag sah er, wie der größere Vogel die Schnur an Land zog und der kleinere ihm dabei hoffnungsfroh zuschaute.
    Um sie davon abzuhalten, steckte Torak sein Messer neben die Schnur in den Boden, woraufhin sie zwar die Angelschnur in Ruhe ließen, dafür aber an der Sehne, mit der der Griff befestigt war, herumpickten. Erst als er das Messer durch die Axt ersetzte, klappte es besser.
    Am nächsten Tag, als er aus seiner Hütte kam, krächzte ihm der größere vom Nest her einen Gruß zu – und kam zu ihm herabgeflogen.
    »Du kannst fliegen!«, sagte Torak verwundert.
    Von seiner eigenen Leistung völlig verdutzt, setzte sich der Vogel zitternd auf Toraks Füße. Dann spreizte er die Flügel und flog in einen Baumwipfel, wo ihn offensichtlich sein Mut verließ, denn er fing kläglich an zu rufen und wollte gerettet werden. Torak lockte ihn schließlich mit einer Handvoll kleingehacktem Frosch und ein paar Fischaugen herunter, und von da an lachte der Vogel seine Schwester aus, die immer noch wild flatternd im Nest hockte. Es dauerte bis zum Spätnachmittag, ehe sie ihren ersten Flug wagte.
    Danach lernten sie sehr schnell, und schon bald war der Himmel von ihren heiseren Schreien erfüllt, wenn sie hoch oben kreisten und durch die Luft purzelten. Ihre Federn waren glänzend schwarz mit einem Hauch von regenbogenfarbenem Violett und Grün, und beim Fliegen gaben ihre Flügel ein kräftiges, trockenes Rascheln von sich, wie der Wind im Röhricht. Torak wurde dabei immer ganz sehnsüchtig, als hätte auch er früher einmal fliegen, es aber niemals wieder erlernen können.
    Eines Morgens erhoben sie sich in die Lüfte und kamen nicht mehr zurück.
    Torak redete sich ein, es sei ihm egal. Er stellte eine Falle auf – eine seiner wiedererworbenen Fähigkeiten – und aß ein paar Beeren, wobei er nicht vergaß, einige davon auf einem Felsen als Opfergabe zurückzulassen.
    Aber er vermisste die Raben. Er hatte sich an sie gewöhnt. Und sie erinnerten ihn an etwas, woran er sich nicht mehr erinnern konnte. Er wusste nur, dass es eine gute Erinnerung war.
    Als es Abend wurde, überprüfte er die Fallen, die er am vorausgegangenen Abend aufgestellt hatte. Er hatte Glück: ein Wasservogel. Torak entfachte ein Feuer und briet ihn, war aber nicht in der Stimmung, viel davon zu essen.
    Plötzlich vernahm er ein vertrautes Krächzen, gefolgt von kräftigen, rhythmischen Flügelschlägen – und da kamen sie auch schon schwungvoll herangekurvt und landeten ein jeder auf einer seiner Schultern.
    Er stöhnte auf, denn ihre Krallen waren scharf, dann hob er sie herunter. Aber er war froh, dass sie zurückgekommen waren.
    An diesem Abend genossen sie alle drei ein wahres Festmahl. Die Raben, die er Rip und Rek nannte, verputzten so viel, dass sie nicht mehr fliegen konnten und er sie zu ihrem Schlafplatz tragen musste.
    Nachdem sie eingeschlafen waren, setzte er sich an den See, sah den jungen kreischenden Seglern über dem Wasser zu, während ein Specht wie ein grüner Blitz an ihm vorübersauste und ein rotes Eichhörnchen sich an einem Fuß von einem Ast herabließ, um an eine unreife Haselnuss an einem anderen Zweig heranzukommen. Als der Mond aufging, kam ein Biber aus dem Wald gewatschelt, warf Torak einen misstrauischen Blick zu und hockte sich dann hin, um an einem Weidenschössling zu nagen. Das Bäumchen kippte um, der Biber biss einen Zweig davon ab und schwamm dann, ihn hinter sich herziehend, stromaufwärts.
    Zum ersten Male seit vielen Tagen fand Torak so etwas wie Frieden mit sich selbst. Die Wunde in seiner Brust schien endlich zu heilen und er hatte auch keine Angst mehr. Er wusste, dass ihm immer noch große Stücke seiner Erinnerung fehlten, aber allmählich fing er wieder an, die Welt ringsumher zu begreifen.
    Der See wurde ganz still und auch der Wald fand für die kurze Sommernacht seine Ruhe.
    Torak spürte, dass ihn jemand beobachtete, und warf einen Blick nach hinten.
    Aus den Bäumen spähten bernsteinfarbene

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