Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)
Augen.
Er sprang sofort auf.
Ein grauer Schatten drehte sich um und verschwand zwischen den Bäumen.
Kapitel 22
Ein Wolf kann nicht zwei Rudeln angehören.
Wolf schmeckte diese bittere Erkenntnis bis zur Neige. Er konnte weder fressen noch schlafen noch sich einem guten Geheul in der Gemeinschaft der anderen erfreuen. Seit jenem schrecklichen Augenblick, als Groß Schwanzlos seine Schnauze mit dem Hellen Tier gebissen hatte, wich ihm das Elend nicht mehr von den Hinterläufen.
Und jetzt, unterwegs durch den Wald, lief auch die Eifersucht mit ihm. Was hat Groß Schwanzlos bloß mit diesen Raben gemacht? Wölfe und Raben spielten manchmal zusammen und halfen einander bei der Jagd, aber sie sind keine Rudelgefährten.
Als Wolf den Lagerplatz erreichte, war der Rest des Rudels bereits vom Jagen zurück, die Welpen waren gefüttert und hatten sich in die Höhle zum Schlafen zurückgezogen. Wolf lief los, um mit dem Leitpaar die Nasen zu reiben, die anderen folgten, dann trotteten alle zu ihren Schlafplätzen, um ein wenig zu schlummern. Weißpfote, der mit den Jungen in der Höhle geblieben war, ging weg, um nachzusehen, ob irgendwelche Luchse oder Bären im Wald umherstreunten oder die Andersheit, die sich im Runden Nass herumtrieb, und Wolf ließ sich vor der Höhle nieder, um die Jungtiere zu bewachen.
Groß Schwanzlos wollte ihn nicht mehr als Rudelgefährten haben. Er hatte kein einziges Mal nach ihm geheult oder ihn im Wald gesucht.
Und jetzt auch noch diese Raben.
Die Welpen stoben aus dem Eingang und rannten wild bellend auf Wolf zu, was ihm seinen Kummer eine Weile vertrieb. Er sprang auf, begrüßte sie mit einem hohen Jungtierwinseln, sie stießen ihn mit ihren stumpfen Schnauzen an, und er peitschte mit dem Schwanz, als er das Rentierfleisch hervorwürgte, das er in seinem Magen trug. Die Jungwölfe wurden schnell groß, bald schon würde das Rudel von der Höhle weg zu einem Ort viele Sprünge entfernt weiterziehen, wo die Jungen jagen lernen würden.
Als Wolf daran dachte, holte ihn seine Qual wieder ein. Wenn er den Lagerplatz verließ, entfernte er sich noch weiter von Groß Schwanzlos.
Er legte sich nieder und steckte die Schnauze zwischen die Vorderpfoten.
Als Wächter der Kleinen hatte er immer ein Ohr auf die Jungen, und bald schon bemerkte er, dass sie sich an ihn wie an ein Beutetier anschlichen.
Knurrer, der klügste von ihnen, tat so, als würde er unschuldig mit einem Stock spielen, schob sich aber immer näher heran; Schnapp, die kleinste, aber wildeste, schlich sich flach auf dem Bauch von hinten an Wolf heran; und der schüchternere Digger wartete noch ab, bis die anderen aus ihrer Deckung kamen.
Plötzlich griff Schnapp an – und grub ihre spitzen kleinen Zähne in Wolfs Flanke. Knurrer sprang Wolfs Schnauze an und Digger warf sich auf seinen Schwanz. Wolf legte sich gehorsam auf die Seite und sie kletterten auf ihn. Sie kauten an seinen Ohren, bis er sie schützend mit den Pfoten zudeckte, und dann knabberten sie an seinen Pfoten. Er ließ sie gewähren, denn es waren Jungtiere.
Digger sprang herunter und buddelte ein neues Spielzeug aus: den Unterschenkel eines Rehkitzes, an dem noch der Huf dran war. Schnapp kam knurrend auf ihn zu – Das gehört mir, ich bin das Leitjunge! –, und während sie noch über Digger stand, um ihn zu bestrafen, schlich sich Knurrer zwischen die beiden und rannte mit der Beute davon.
Wolf sah zu, wie Knurrer versuchte, den Huf zwischen die Kiefer zu klemmen, und mit einem Mal wurde Wolf selbst wieder zum Welpen, wie damals, als er mit Groß Schwanzlos zum ersten Mal Beute gemacht hatte und an einem Huf herumkaute, den sein Rudelgefährte ihm gegeben hatte. Wieder packte ihn sein Kummer an der Kehle. Es tat so weh, dass er jaulte.
Dunkelfell wachte auf und kam, um ihm über die Schnauze zu lecken, ganz behutsam, um die Seite, an der ihn das Helle Tier gebissen hatte, nicht zu berühren. Wolf war dankbar dafür, aber der Schmerz ging davon nicht weg.
Weißpfote kehrte zurück und übernahm die Aufsicht über die Jungen. Wolf trabte davon und versuchte zu schlafen. Aber der Gedanke an diese Raben hielt ihn wach.
Er sprang auf. Er kam einfach nicht zur Ruhe. Er musste sich Gewissheit verschaffen.
Es dauerte nicht lange, bis er das Lager von Groß Schwanzlos erreicht hatte. Wolf duckte sich ins Farn und robbte näher heran.
Bald darauf kam Groß Schwanzlos heraus, streckte sich und murmelte vor sich hin. Seine Stimme war tiefer und rauer
Weitere Kostenlose Bücher