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Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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hatte recht: Sie war regelrecht ausgehungert. Es gab geschmorten Elch und saftige, über dem Erlenfeuer gebratene Brassen, dazu gegrillte Forellenwangen und knusprige goldene Küchlein aus Schilfpollen mit süßen klebrigen Bröckchen aus Schilfharz; und das dickste, müffeligste Stichlingsschmalz, das die Otter mitgenommen hatten, als sie ihr Lager verlassen mussten. Das rührte Renn wohlweislich nicht an, aber sie sah, wie Torak, der es nicht besser wusste, nach dem ersten Mundvoll schwer zu kämpfen hatte, seinen Ekel vor den Ottern zu verbergen.
    Er saß auf dem Ehrenplatz bei den Clanführern und schien sich inmitten all der Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde, nicht besonders wohl zu fühlen. Renn bemerkte, wie er unsicher die Tätowierung auf seiner Stirn berührte, aber entweder sah er sie nicht oder er wich ihren Blicken aus. Sie beschloss jedoch, sich erst einmal keine Sorgen darüber zu machen.
    Unweit von Torak saß Bale. Er fand Renns Blick und lächelte beinahe, unterließ es dann aber. Sie hatten noch nicht darüber geredet, dass er den tödlichen Pfeil auf ihre Mutter abgeschossen hatte, und vermutlich war er sich nicht sicher, wie sie sich deswegen fühlte. Sie schenkte ihm ein kurzes Lächeln und er wirkte erleichtert.
    Als das Mahl vorüber war, sammelten die Otter sämtliche Gräten, die zu klein waren, um nützlich zu sein, und brachten sie zum See, damit sie als neue Fische wiedergeboren werden konnten. Dann erhoben sich die Schamanenzwillinge der Otter und fingen an zu singen.
    Wie ein silberner Bach, der sich in einen klaren Teich ergießt, fielen ihre Stimmen in die lauschende Stille. Vor ihrem geistigen Auge sah Renn die Dunkelheit des Ursprungs, als die ganze Welt nur aus Wasser bestand. Dann stieß ein Tauchvogel auf den Grund, nahm ein bisschen Schlamm in den Schnabel und kehrte damit zurück an die Oberfläche – und schuf so die Erde.
    Jetzt stimmten sie ein neues Lied an. Diesmal sah Renn die Natter, die den geweihten Lehm gestohlen und den See krank gemacht hatte. Der See suchte die Hilfe des Weltgeistes, der das Wasser hinter dem Eis freigab und alles Böse hinwegschwemmte; und die Waldstämme wären ebenfalls hinweggeschwemmt worden, wären sie nicht vom Clanlosen Wanderer gewarnt worden. Dann tötete der Junge vom Meer die Natter und der Frieden war wiederhergestellt.
    Als das Lied vorüber war, verneigten sich alle vor Torak, der rot anlief. Dem Anführer des Eberclans war sein Widerwille dabei deutlich anzumerken, aber Aki tat es aus ganzem Herzen. Dass er seinem Vater widersprochen hatte, hatte ihm neues Selbstbewusstsein verliehen, und das bekam ihm sichtlich gut. Maheegun und der Wolfsclan verneigten sich am tiefsten von allen.
    Inzwischen graute schon beinahe der Morgen. Bestimmt, dachte Renn, ist das Fest bald vorbei. Das Essen hatte ihr frischen Mut gemacht. Sie würde einfach auf Torak zugehen und ihm sagen, was gesagt werden musste.
    Zunächst aber verteilte der Anführer der Otter Dankesgeschenke und sie musste sich noch in Geduld üben.
    Bale bekam eine Tauchvogelkralle als Amulett – damit er, wie die geschicktesten der Wassertiere, niemals unterging.
    Torak erhielt ein Armband aus dem Unterkiefer eines Hechts, eingefasst in Elchleder, damit er ein ebenso geschickter Jäger wie der Hecht würde. Auch sein Messer hatten die Otter erneuert. In dem Loch, das der Feueropal zurückgelassen hatte, lag jetzt ein passend geschnittener Grünstein.
    Als Renn schon glaubte, ausgelassen zu werden, trat Yolun auf sie zu und legte ihr etwas zu Füßen. Er verneigte sich und bekundete murmelnd seinen Dank für die Rolle, die sie bei der Rettung des geliebten Sees gespielt hatte. Sein Geschenk bestand aus einem herrlichen kleinen Biberzahnmesser, dessen Heft wie ein Fischschwanz geschnitzt war.
    Der Morgen brach an und die letzten Gäste zogen sich zum Schlafen zurück. Plötzlich sah sie Torak auf sich zukommen.
    Renn erhob sich und warf dabei Schüssel und Löffel um, die sie in ihrem Schoß ganz vergessen hatte.
    Torak half ihr beim Aufsammeln und nickte ihr mit sonderbarer Miene zu. »Renn …«
    »Ja?«, fragte sie, schärfer als beabsichtigt.
    »Ah, Torak«, sagte Fin-Kedinn und kam ebenfalls heran.
    Dieses Mal freute sich Renn ausnahmsweise nicht, ihren Onkel zu sehen.
    »Komm mit«, sagte der Anführer der Raben ungerührt. »Wir haben noch etwas zu erledigen.«
    Torak machte den Mund auf, klappte ihn dann aber wieder zu.
    »Wohin gehen wir?«, fragte Renn.
    Fin-Kedinn

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