Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)
er in sein Herz geschlossen hatte. »Hast du denn keine Gefährtin gefunden?«
Fin-Kedinn schürzte verächtlich die Lippen. »Doch, natürlich. Es gab ein Mädchen aus dem Wolfsclan. Aber nach einer Weile verließ sie mich wieder, weil ich immer noch an deine Mutter dachte. Sie hatte recht.«
Schweigen. Dann sagte Torak: »Wie war meine Mutter?«
Fin-Kedinn verschloss sich. »Dein Vater muss doch von ihr erzählt haben.«
»Nein. Es machte ihn immer zu traurig.«
Der Anführer der Raben schwieg lange. Dann sagte er: »Sie kannte den Wald wie niemand sonst. Sie liebte ihn. Und der Wald liebte sie.« Fin-Kedinns Blick traf den Toraks und seine blauen Augen glitzerten. »Du bist ihr sehr ähnlich.«
Das hatte Torak nicht erwartet. Bis jetzt war seine Mutter für ihn nie wirklich gewesen: nur eine schattenhafte Frau vom Rotwildclan, die sein Medizinhorn gefertigt hatte – und ihn für clanlos erklärt hatte.
Fin-Kedinn schaute mit leerem Blick in den Haselstrauch. Dann straffte er die Schultern und nahm seine Arbeit wieder auf. »In gewisser Weise hast du es deiner Mutter zu verdanken, dass du als Ausgestoßener überlebt hast. Diese Geschöpfe, die dir geholfen haben … Biber, Raben, Wölfe. Der Wald selbst. Vielleicht sahen sie ihren Geist in dir.«
»Aber wieso hat sie mich zum Clanlosen erklärt? Warum hat sie das getan?«
Fin-Kedinn seufzte. »Ich weiß es nicht, Torak. Aber sie hat dich geliebt, deshalb –«
»Woher willst du das wissen? Du wusstest ja nicht einmal, dass sie einen Sohn hat!«
»Ich kannte sie«, sagte Fin-Kedinn leise. »Sie hat dich geliebt. Deshalb muss sie es getan haben, um dir zu helfen.«
Torak begriff nicht recht, inwiefern es hilfreich sein sollte, keinem Clan anzugehören.
»Vielleicht«, fügte Fin-Kedinn hinzu, »liegt die Antwort dort, wo deine Mutter hergekommen ist. Und dort, wo du geboren wurdest.«
»Im Großen Wald.«
Ein Windhauch ließ die Blätter rascheln und die Bäume nickten zustimmend.
»Wann soll ich gehen?«, fragte Torak.
»Noch nicht so bald«, sagte der Rabenanführer und mahlte Gips. »Zwischen den Clans des Großen Waldes herrscht Streit. Sie lassen keine Außenseiter hinein. Außerdem wäre es närrisch, sich dorthin zu begeben, wo sich Thiazzi und Eostra aufhalten könnten.«
Bale kam durch den Farn. Mit ernstem Gesicht händigte er Fin-Kedinn ein kleines Horngefäß mit dem Waid aus. »Wie ich höre, redet ihr von den Seelenessern. Ich glaube nicht, dass ihr sie im Großen Wald findet. Ich glaube, sie sind auf den Inseln.«
Torak setzte sich auf. »Was?«
»Renn hat so etwas gesagt, ist schon eine Weile her. Sie sagte, der Robbenschamane hätte ein Stück des Feueropals gehabt, das er mit sich genommen hat, als er ins Meer gestürzt ist.« Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass der Stein weg ist. Er hat das, was er für seine Beschwörungen brauchte, immer in einem Robbenlederbeutel aufbewahrt. Als er starb, hatte er ihn nicht bei sich. Und später, als wir in seine Hütte eindrangen, haben wir nichts gefunden.«
»Das kann alles und nichts bedeuten«, sagte Torak unsicher.
»Bevor du auf die Inseln kamst«, sagte Bale, »als er einfach nur unser Schamane war, sahen wir manchmal ein rotes Leuchten auf der Klippe. Wir wussten nicht, was es war. Inzwischen weiß ich es.«
»Der Feueropal«, sagte Torak.
»Und ehe ich mich auf den Weg zum Wald machte«, fuhr Bale fort, »spürte ich mitunter eine rastlose Unruhe – in den Wäldern und in unserem Lager. Als würde jemand nach etwas suchen.«
Torak dachte an die letzten Worte der Natternschamanin. Dann fiel ihm auf, dass Fin-Kedinn nicht überrascht aussah.
»Überlege doch, Torak«, sagte er, als er das Färbemittel auftrug. »Wenn das Stück im Messer deines Vaters das Letzte gewesen ist, warum war dann nur die Natternschamanin hinter ihm her? Warum nicht auch Thiazzi und Eostra?«
»Also haben wir überhaupt nichts erreicht!«, rief Torak. »Es geht alles wieder von vorne los!«
»Nicht ganz«, erwiderte Fin-Kedinn. »Einen Schritt nach dem anderen. Schon vergessen?«
Torak sagte nichts dazu. Der Rabenanführer sammelte seine Sachen ein. »Es wird Zeit, dass wir zurückgehen«, sagte er entschlossen. »Und Torak – wir erzählen Renn nicht gleich von dem Feueropal. Sie hat genug, worüber sie nachdenken muss.«
Als sie das Lager erreichten, wartete Renn auf sie. Sie warf einen Blick auf Toraks Stirn und nickte. »Aha.« Dann wandte sie sich an Fin-Kedinn: »Nur das
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