Chronik der dunklen Wälder - Schamanenfluch: Band 4 (German Edition)
auf Stirn, Herz und Fersen zu malen. Danach zog er sie sanft von der Leiche weg.
Die Menge teilte sich, um jemanden hindurchzulassen.
Wolfs Nackenhaare waren gesträubt, seine Lefzen zurückgezogen, die Zähne gefletscht, als er steif auf den Leichnam zuging und sich an etwas heranschlich, das außer ihm niemand sehen konnte.
Der Regen fiel, und Torak sah seinen Rudelgefährten in die Luft springen, dort nach etwas schnappen und anschließend in Richtung Wald davonrennen. Er jagte die Seelen der Natternschamanin weg von den Lebenden.
Kapitel 37
Das Rudel zieht ohne ihn weiter, und Wolf weiß, dass es so sein muss. Aber es tut trotzdem weh.
Die ausgewachsenen Wölfe gehen sorgfältig in den Spuren des Leitwolfes, nur die Welpen rempeln einander an und stürzen sich neugierig auf interessant aussehende Moosbrocken.
Digger und Schnapp sehen, dass Wolf ihnen nicht folgt, und traben eilig zurück, um ihn zu holen. Komm schon! Komm mit uns!
Traurig wackelt Wolf mit dem Schwanz.
Die Leitwölfin sammelt die Jungtiere ein, und sie trotten hinter ihr her, drehen sich ab und zu verstört um.
Dunkelfell ist die Letzte, die geht. Sie wirft noch einen Abschiedsblick zurück, dann ist auch sie verschwunden.
Wolf schreckte aus dem Schlaf hoch. Er lag auf dem schmutzigen Boden und spürte, wie die Sorgen ihn niederdrückten. Das Rudel war weg.
Durch die Bäume drangen die Geräusche der erwachenden Schwanzlosen. Wolf ging auf und ab und hob witternd die Nase in den Wind.
Seit das Runde Nass über alles hinweggefegt war, war nichts wie zuvor. Der Donnerer war weg, und das Runde Nass war wieder ruhig, obwohl es größer geworden war und Fische in den Bäumen hingen, was ziemlich ungewöhnlich war. Die Verborgenen waren still, da sie ihre Insel wieder für sich allein hatten, und die Schwanzlosen waren nicht mehr hinter Groß Schwanzlos her, ja, sie hatten ihn sogar wieder bei sich aufgenommen. Wieso, das wusste Wolf nicht.
Auch Groß Schwanzlos hatte sich verändert. Nach den vergangenen Hell und Dunkel war sein Geruch ein anderer geworden und auch sein Heulen klang viel tiefer. Dafür kannte Wolf den Grund allerdings. Im Gegensatz zu jungen Wölfen dauerte es bei den jungen Schwanzlosen zwar furchtbar lange, bis sie ausgewachsen waren, aber irgendwann waren auch sie so weit. Groß Schwanzlos war nun beinahe ausgewachsen.
Momentan befand er sich im Lager mit den anderen Schwanzlosen und schlief einen seiner endlos langen Schlafe. Wolf wünschte, er würde aufwachen und spüren, dass sein Rudelgefährte ihn brauchte.
Aber Groß Schwanzlos kam nicht.
»Es ist Zeit, dass wir wieder zurückgehen«, sagte Fin-Kedinn, und Renn, die auf einem Stein oberhalb der Heilquelle saß, nickte zwar, rührte sich jedoch nicht.
Nicht weit entfernt gab eine Gruppe Otter den geweihten Lehm dem See zurück, indem sie ihn von ihren Gesichtern wuschen. Bale stand gedankenverloren am Rand der Klippe und Torak suchte im Farn nach seinem Namenskiesel.
Renn wollte ihm gern dabei helfen, traute sich aber nicht. Seit er erfahren hatte, dass Seshru ihre Mutter war, hatte er noch nicht richtig mit ihr gesprochen. Sie wusste nicht genau, ob sie sich wieder vertrugen – oder ob jetzt alles anders war.
Die Otter waren in der Morgendämmerung mit ihren Schilfbooten eingetroffen. Es stellte sich heraus, dass sie keine Warnung vor der Flut nötig gehabt hatten, da ihr Schamane die Zeichen gelesen und sie an einen sicheren Ort geführt hatte. Deshalb war Yolun ins Lager der Waldclans gesandt worden: um sie zu warnen.
Die Otter waren auch nicht besonders überrascht gewesen, als Fin-Kedinn ihnen von der Natternschamanin erzählt hatte. Sie hatten es so hingenommen, wie sie die Flut hingenommen hatten, die ihr Lager vernichtet hatte. Ohne viele Worte hatten sie sich darangemacht, die Begräbnisrituale vorzubereiten.
Nachdem sie den Leichnam zu einer entlegenen Bucht gebracht und dort gewaschen hatten, bahrten sie ihn auf einem Totenpodest auf und bedeckten ihn mit Wacholderzweigen, damit er sich nicht mehr erhob. Dann hatten sie alle Beteiligten zur Quelle geführt, wo sie sich reinigen konnten. Höflich hatten sie darauf bestanden, dass Renn sich ein Stück abseits hielt, denn sie hatte dem Leichnam die Todeszeichen aufgemalt und würde noch für die folgenden drei Tage unrein sein. Es machte ihr nichts aus. Sie empfand es sogar eher als eine Erleichterung. Jedenfalls redete sie sich das ein.
»Sie hat keine Spur hinterlassen«, sagte Torak. Seine
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