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Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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er langsam wie ein neugeborener Welpe los.
    Er würde sich um Groß Schwanzlos kümmern. Er würde ihn zu dem toten Fischhund führen und geduldig warten, bis er sich satt gefressen hatte, denn Groß Schwanzlos war trotz allem der Leitwolf und musste darum als Erster fressen. Wenn auch Wolf sich gütlich getan hatte, würde er Groß Schwanzlos bei der Suche nach dem Weibchen helfen.

Kapitel 34

    IM WALD HEISST MAN die Ankunft des Frühlings willkommen, im Hohen Norden fürchtet man sie. Renn hatte inzwischen begriffen, warum.
    Ein Eisberg kam ihr im Nebel entgegengeschwommen … neigte sich zur Seite und klatschte ins Meer, wobei die aufgeworfene Welle die Scholle, auf der Renn kauerte, gefährlich zum Schwanken brachte.
    Weiter vorn stießen krachend zwei riesige Eisschollen zusammen, wobei sich die größere knirschend über die kleine schob und diese unter Wasser drückte.
    Das hätte genauso gut ich sein können, dachte Renn.
    Sie hatte keine Vorstellung, wohin das Meer sie entführte. Nirgendwo war Land zu sehen, bloß Nebel und schroffe Gipfel in tödlich schwarzen Fluten. Ringsum hörte man das Tosen des einsetzenden Tauwetters, das Gluckern und Gurgeln von Schmelzwasser, das Knirschen und Mahlen des Eises.
    Ihre Scholle maß etwa zwanzig Schritt. Renn kauerte in der Mitte und sah zu, wie die Meermutter an der Kante nagte. Der Wind heulte und von der Kälte tränten ihr trotz des Blendschutzes die Augen. Von fern vernahm sie die stetig näher kommende Donnerstimme des Eisflusses.
    Wie sollte sie ohne Schlafsack die Nacht überstehen? Tanugeak hatte ihr erzählt, wie ihre Großmutter einmal einen Schneesturm überlebt hatte. »Erst hat sie die Handschuhe ausgezogen und sich draufgesetzt, um die Kälte von unten abzuhalten. Dann hat sie die Arme in die Kapuzenjacke gezogen und das Kinn auf die Knie gelegt, damit sie nicht umfiel, falls sie einschlief.«
    Renn machte es wie Tanugeaks Großmutter und ihr wurde sofort wärmer, aber sie hatte nicht vor, einzuschlafen. Sie musste achtgeben, ob sich der Nebel irgendwann lichtete und sie vielleicht die Küste erspähen konnte. Sie musste wach bleiben und nach den Booten der Seelenesser Ausschau halten. Und nach Dämonen.
    Hunger und Durst quälten sie, aber sie war fest entschlossen, ihre Vorräte nicht anzugreifen. Schöne Vorräte! Ein Stückchen Fleisch und eine Blase mit Wasser an einem Riemen um den Hals. Renn versuchte, nicht an den Vorratsbeutel zu denken, den sie kurz vor dem Unglück im Boot verstaut hatte. Auch die Gedanken an den Dämon verscheuchte sie.
    Er war hier, auf der Eisscholle, das spürte sie, aber sie nahm höchstens einen flüchtigen dunklen Schemen oder ein Scharren wahr.
    Der Dämon hätte sich längst herangetraut, hätte sie sich nicht die Schneehasen-»Tätowierung« von der Stirn gewischt und sich stattdessen die Hand gegen das Böse aufgemalt, wobei sie auch die vom Mittelfinger ausgehenden Schutzstrahlen nicht vergessen hatte. Sie hatte erwogen, sich gleich noch die Todeszeichen aufzumalen … aber so weit war es noch nicht.
    In dem Schwanenfußbeutel auf ihrer Brust brannte der begehrte Stein wie kaltes Feuer. Ihn einfach ins Wasser zu werfen, wäre feige gewesen. Wer konnte sagen, welches Unheil er dort anzurichten vermochte? Hier mitten auf dem Meer gab es weder Erde noch Stein, sodass man ihn nicht begraben konnte.
    Da hörte Renn Wildgänse rufen. Rasch steckte sie die Arme wieder in die Ärmel und holte den Bogen aus der Robbenfellhülle.
    Zu spät. Die Vögel waren längst außer Schussweite.
    »Dummes Ding!«, schalt sie sich. »Warum warst du nicht schneller? Man muss immer auf alles gefasst sein!«
    Sie setzte sich hin und wartete auf die nächste Gelegenheit, hielt Ausschau, bis ihr die Augen brannten. Schließlich sank ihr der Kopf auf die Brust.
    Der Dämon war so nah, dass sie ihn riechen konnte. Züngelnd kostete er ihren Atem. Sein starrer Blick zog sie in loderndes schwarzes Feuer hinab …
    Mit einem lauten Schrei fuhr sie in die Höhe. »Lass mich in Frieden!«, rief sie.
    Ein Möwenschwarm flatterte von einem Eisberg auf. Renn griff nach ihrem Bogen, aber schon wieder waren die Vögel schneller.
    Irgendwo hinter ihr kicherte der Dämon.
    »Bestimmt kommen noch mehr Möwen«, verkündete sie trotzig. Anders konnte es gar nicht sein.
    Es kamen keine Möwen mehr.
    Renn tastete unauffällig nach ihrem Medizinbeutel. Unter dem zusehends schwindenden Kräutervorrat lag der Kiesel, auf den Torak im vergangenen Sommer

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