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Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenesser: Band 3 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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falsche Richtung geblickt hatte. Ihre Scholle hatte einen wüst aufgetürmten Berg Packeis gerammt. Dann lichtete sich der Nebel – und vor ihr lag der Eisfluss.
    Die Scholle hatte sich in seinem Nordufer verkeilt. Vor Renns Blick erstreckte sich eine gleißende Wüste aus Festlandeis und dahinter eine Kette dunkler, gezackter Kegel, die sich unter schroffe blaue Klippen duckten.
    Wenn es ihr gelang, über das Packeis bis aufs Festlandeis zu kommen …
    Und dann? Der Eisfluss brauchte sich nur einmal aufzubäumen, dann stürzten die Klippen über ihr ein und zerdrückten sie wie einen Käfer.
    Mit dieser Frage konnte sie sich nachher noch befassen. Jetzt musste sie erst einmal ans Ufer gelangen.
    Renn schulterte ihren Bogen und stieg von ihrer Scholle auf das Packeis. Es schwankte so besorgniserregend, dass sie gleich auf die nächste Scholle sprang und von da aus auf die übernächste, wobei sie sich stets an weißes Eis hielt und kein einziges Mal stehen blieb, wie Inuktiluk es sie gelehrt hatte. Das Packeis war von breiten Rissen durchzogen – ein falscher Schritt, und man landete im Wasser. Als Renn schließlich auf einigermaßen festem Grund stand, war sie völlig durchgeschwitzt.
    Sie stützte keuchend die Hände auf die Knie, viel zu ausgelaugt, um sich zu freuen. Aufrecht stehen zu bleiben, war schwierig, denn ihre Beine schwankten immer noch im Gleichtakt mit dem Meer.
    Vom Eisfluss war ein gleichförmiges Pochen zu vernehmen, ein schauriges, mahlendes Ächzen. Renn richtete sich auf.
    Der Wind fegte über das Eis. Es war so bitterkalt, dass Renn die Wimpern zusammenklebten. Sie griff nach dem Federbüschel ihres Totemtiers. Hier war ein unheimlicher Ort. Diese Todeskälte. Die gezackten Kegel, die wie spitze Zähne am Fuß der Klippen aufragten, so tief in deren Schatten gehüllt, dass sie fast schwarz wirkten.
    Auf den zweiten Blick stellte Renn allerdings erschrocken fest, dass es kein Schatten war, der die Erhebungen färbte, denn die Klippen lagen im Westen und wurden von der tief stehenden Sonne beschienen. Die sonderbaren Kegel waren tatsächlich schwarz. Dazwischen gähnte ein Abgrund. Ein Abgrund aus schwarzem Eis.
    Renn fühlte sich eigentümlich davon angezogen.
    Stolpernd tappte sie drauflos. Das Festlandeis unter ihren Stiefelsohlen nahm eine immer dunklere Färbung an, bis die brüchige schwarze Schicht bei jedem Schritt knirschte und knackte.
    Als sie einen Brocken aufhob und ihn zerkrümelte, staunte sie. Schwarze Klümpchen waren von einer dünnen Eisschicht umhüllt… das war kein schwarzes Eis! Es waren Steine. Die Überbleibsel eines vom Eisfluss zermalmten Berges.
    Renn ließ die Steine fallen. Endlich begriff sie, warum das Meer sie hierher getragen hatte, zum dunklen Bauch des Eisflusses. Sie hatte das Unmögliche vollbracht – sie hatte herausgefunden, wie man den Feueropal begraben konnte. Aber das einzig Lebendige, das sie dem Stein mitgeben konnte, war sie selbst.

Kapitel 35

    TROTZ DES HANDSCHUHS spürte Torak, dass Wolf unruhig war.
    Er hoffte inständig, dass es Renns Fährte war, die Wolf aufgenommen hatte, aber ganz sicher war er nicht. Ein Großteil der Wolfssprache besteht aus Andeutungen: ein Blick, eine bestimmte Neigung des Kopfes, das Spiel der Ohren. Blind wie Torak war, fiel es ihm noch schwerer als sonst, Wolf zu verstehen. Obwohl sein Augenlicht allmählich zurückkehrte, war Wolf für ihn nach wie vor kaum mehr als ein grauer Fleck.
    Auch der Wind war unruhig, ächzte klagend und zerrte an Toraks Jacke. Obendrein trug er hohe Rufe heran, die aber so schwach waren, dass Torak sie gerade noch hören konnte. Dämonen? Spitzel der Seelenesser? Oder war es Renn, die um Hilfe rief?
    Wolf blieb so plötzlich stehen, dass Torak beinahe über ihn gestolpert wäre. Seine Schultern versteiften sich, er senkte schnüffelnd den Kopf. Toraks Hoffnung schwand wieder. Der nächste Gezeitenriss. Sie hatten schon drei überquert und das Vorankommen blieb beschwerlich.
    Ohne große Umstände entwand sich Wolf Toraks Griff – und sprang. Torak hörte seine Pfoten leise knirschend auf der Schneedecke aufkommen, dann folgte ermunterndes Gebell: Komm!
    Torak nahm die beiden Schlafsäcke und das Stück Fleisch, das er aus der toten Robbe herausgeschnitten hatte, von der Schulter und warf alles dem dunklen Fleck entgegen, der Wolf darstellte. Mit Befriedigung vernahm er einen dumpfen Aufprall und nicht etwa ein Aufklatschen.
    Nun kam der heikelste Teil. Torak konnte den Spalt

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