Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
Vom Netzwerk:
Anschuldigungen noch im Ohr, als er erschöpft zurückruderte. Der Robbenjunge war vorausgefahren und hatte sein Boot bereits an Land gezogen und aufgebockt. Für ihn stand fest, was er von Torak zu halten hatte.
    Ohne Hilfe kannst du es nicht schaffen , hatte Tenris gesagt. Du musst ihr Vertrauen gewinnen. Halte dich an Bale… dann hast du die beiden anderen auch auf deiner Seite.
    Das leuchtete Torak durchaus ein. Er musste Bale irgendwie begreiflich machen, dass er es ehrlich meinte.
    Er hatte eine Idee. Wenn er irgendwie beweisen konnte, dass sich der Schleicher auf der Insel herumtrieb, musste Bale ihm glauben.
    Ich brauche Spuren, sagte er sich. An Spuren kann auch Bale nicht mehr herumdeuteln. Was den Umgang mit Booten betraf, mochte Torak ein Stümper sein, aber bei der Spurensuche machte ihm keiner etwas vor.
    Als er ans Südende der Bucht kam, brach schon die Dämmerung an, beziehungsweise die kurze Zeitspanne, da der Himmel tief dunkelblau schimmerte, denn bald war Mittsommer. Torak zog sein Boot ans Ufer, überquerte den Ausläufer des Wasserfalls und inspizierte den Boden. Seeschwalben umschwirrten seinen Kopf, aber er ließ sich nicht ablenken.
    Der Zeitpunkt war gut gewählt, denn im Zwielicht sieht man Fährten besonders deutlich. Außerdem waren die Robben damit beschäftigt, die Feuer für das Nachtmahl aufzuwecken, und kümmerten sich nicht groß um ihren Gefangenen. Torak hatte keine Lust, irgendwem Rechenschaft über sein Tun abzulegen.
    Im weichen Lehm fanden sich keine Spuren, aber dort im Gras … dort hatte etwas Kleines … der Schleicher?… den Tau von den Halmen gestreift.
    Die Fährte war wie alle Fährten in betautem Gras schwer zu verfolgen, aber Torak wandte einen Kniff an, den ihm sein Vater beigebracht hatte, und betrachtete das Gras im Streiflicht aus dem Augenwinkel.
    Nach etlichen fehlgeschlagenen Versuchen gelang es ihm, der Fährte bis zu einer Reihe Felsen unmittelbar am Wasser zu folgen, auf denen sich unzählige Schnecken angesiedelt hatten. Dahinter, am äußersten Ende der Bucht, wuchs eine Gruppe Birken. Überraschenderweise führte die Spur nicht dorthin, sondern in die Uferfelsen. Torak fand Krallenspuren im Moos, und es roch faulig, weil der Schleicher durch einen vermoderten Tanghaufen getapst war.
    Schließlich entdeckte Torak auf einem Flecken Sand, den die letzte Flut angeschwemmt hatte, das Gesuchte: einen deutlichen Abdruck spitzer Klauen. Ganz frisch. Von Ameisen und Sandmücken unberührt und nicht verwischt.
    Da siehst du’s, Bale, frohlockte er stumm.
    Ein Kichern ertönte – und dort hockte er: eine kleine, geduckte Gestalt mit langem Haar wie Algengewirr.
    Torak war viel zu erfreut, um sich zu fürchten. Hier war der gewünschte Beweis. Wenn es ihm jetzt noch gelang, den Schleicher einzufangen, musste sich Bale endgültig geschlagen geben.
    Das Geschöpf machte kehrt und entfloh.
    Torak kletterte hinterher.
    Die algenbewachsenen Felsen waren glitschig, und eine innere Stimme warnte ihn, ja nicht auszurutschen. Der Schleicher würde Freudensprünge vollführen, wenn Torak vor seinen Augen ins Meer purzelte.
    Er kam an eine Felsspalte, aus der Gischt aufsprühte. Zum Drüberspringen war die Klamm zu breit, aber der Schleicher hatte sie irgendwie bewältigt. Dort drüben kauerte er. Seine Augen blitzten boshaft und herausfordernd.
    »O nein«, japste Torak. »So dumm bin ich nicht, dass ich hier rüberspringe!«
    Fauchend entblößte der Schleicher die Zähne und huschte davon. Seine Klauen scharrten über den Fels.
    Torak hastete an der Felsspalte entlang, bis er eine Stelle fand, wo der Bewuchs nicht ganz so tückisch feucht war, ja, an einer Stelle sogar ganz trocken. Flüchtig fragte er sich, wie das wohl kam …
    Zu spät. Er verlor den Boden unter den Füßen und stürzte ins Meer. Torak, du Dummkopf! Eine Fallgrube! Die simpelste Falle überhaupt!
    Das Meer war so eiskalt, dass es ihm den Atem verschlug, und er verhedderte sich in Tang und Algen, als er Wasser trat und sich nach einer Stelle umsah, wo er sich festhalten und herausziehen konnte. Die Dünung war stärker, als es, von oben betrachtet, aussah, aber es dürfte trotzdem nicht schwer sein, wieder an Land zu klettern. Ernstlich gelitten hatte nur sein Stolz und der Schleicher war inzwischen natürlich längst über alle Berge.
    Torak wischte sich die Algen aus dem Gesicht und streckte tastend die Hand aus, aber das Zeug haftete hartnäckig an seiner Haut. Es wollte ihm nicht gelingen,

Weitere Kostenlose Bücher