Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)
hielt ihn gefangen.
Da schoss eine weiße Wassersäule empor und wirbelte ihn herum, als etwas Großes neben ihm im Wasser landete. Scharfe Zähne zerfetzten das Netz, befreiten ihn …
Dann angelten Hände nach ihm, wollten ihn herausziehen, aber sie hatten nicht genug Kraft. Immer wieder glitt er ins Wasser zurück und schürfte sich an den Schneckengehäusen die Hände auf.
Er nahm alle Kraft zusammen und vollführte einen gewaltigen Beinschlag, sodass er mit dem Oberkörper aus dem Wasser schnellte und die Hände ihn schließlich greifen und heraushieven konnten.
Seufzend ließ ihn die Meermutter ziehen.
Torak schnappte nach Luft wie ein ans Ufer gespülter Fisch. Mit der Wange lag er auf den rauen Schnecken, er hatte Tang im Mund. Noch nie hatte ihm etwas so gut geschmeckt.
»Was war denn mit dir los?«, hörte er eine sonderbar vertraute Stimme flüstern.
Er wälzte sich herum, richtete sich auf den Knien auf und spuckte ungefähr das halbe Meer aus. »Ich … w-wäre fast ertrunken«, japste er.
»Ich bin ja nicht blind!« Es klang halb verärgert, halb erschüttert. »Aber was war mit dir los? Wieso bist du nicht einfach herausgeklettert?«
Torak hob den Kopf. »Renn?! Bist du das etwa?«
»Pst! Nicht so laut! Kannst du aufstehen? Dann komm!«
Der völlig verwirrte Torak rappelte sich unbeholfen hoch. Er schwankte so heftig, dass er beinahe wieder ins Wasser gefallen wäre, hätte ihn Renn nicht am Arm gepackt und zu den Bäumen gezogen. »Gleich dahinter kommt eine Bucht, wo man uns nicht sehen kann.«
Sie kletterten über Felsbrocken und durch dichtes Unterholz, bis sie in einer kleinen Bucht am Fuß eines Steilhangs herauskamen.
Schnaufend sank Torak auf die Knie. »Wie … wie hast du mich gefunden?«
»Das war nicht ich«, erwiderte Renn, »das war…«
Hinter einem Felsen kam etwas Dunkles hervorgesprungen, warf Torak rücklings in den Sand und schleckte ihm mit der warmen, rauen Zunge übers Gesicht.
»… das war Wolf«, vollendete Renn ihren Satz.
Kapitel 23
DIE BEGRÜSSUNG der beiden hatte etwas Leidenschaftliches, fast Verzweifeltes. Wolf wedelte winselnd mit dem Schwanz und liebkoste Toraks Gesicht. Torak benahm sich selbst wie ein Wolf, was Renn jedes Mal irritierte, leckte seinem Gefährten über die Schnauze und vergrub das Gesicht in seinem Fell, wobei er leise und eindringlich in dieser eigenartigen, unverständlichen Sprache auf ihn einredete.
Renn kam sich ausgeschlossen vor, außerdem war sie von dem Vorangegangenen tief erschüttert. Das Bild, wie Torak mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieb und das schwarze Haar um ihn herumwogte, ging ihr immer noch nach. Sie hatte ihn schon für tot gehalten.
Mit zitternden Händen holte sie Köcher und Bogen hinter einem Felsen hervor und hängte sich einen mit Schnecken gefüllten Knüpfgrasbeutel über die Schulter. »Kannst du laufen?«, fragte sie ungewollt barsch.
Torak, der immer noch vor Wolf kniete, drehte sich um und starrte sie an wie eine Fremde. Mit seinem zerschundenen Gesicht und dem zerzausten Haar sah er gar nicht mehr aus wie ihr guter Freund. »Ich … ich kann es immer noch nicht fassen…« Man hörte, dass er mit den Tränen kämpfte.
»Wir müssen hier weg, Torak! Wir sind zu dicht beim Lager, man könnte uns suchen!«
Aber sie merkte, dass er nicht zuhörte.
»Los jetzt!« , befahl sie da und zog ihn energisch hoch.
Die Böschung war steil und mit Moos und Krähenbeeren überwuchert, was das Klettern erschwerte, doch Torak schaffte es zum Glück trotzdem. Wolf lief schwanzwedelnd neben ihm her, sprang immer wieder an ihm hoch und leckte ihm das Gesicht.
Als sie endlich oben angekommen waren, mussten sie anhalten und verschnaufen.
»Wie hast du mich gefunden?« Torak beugte sich keuchend vor und stützte die Hände auf die Oberschenkel.
»Ich wollte mir unten am Wasser etwas zu essen suchen. Plötzlich hat Wolf wieder so komisch geknurrt und ist losgerannt.« Sie unterbrach sich. »Was war eigentlich los, Torak? Warum bist du nicht einfach an Land geklettert?«
»Ich … hatte mich in einem Robbennetz verheddert.«
»In einem Netz?«
»Ich wollte herausschlüpfen, aber das ging nicht. Wolf hat es durchgebissen. Er hat mir das Leben gerettet.«
Renn war beeindruckt, dass Wolf aus lauter Liebe zu seinem Gefährten dem getrotzt hatte, das er am allermeisten fürchtete. »Er kann das Meer auf den Tod nicht ausstehen. Ich hab’s ja kaum geschafft, ihn in ein Boot zu kriegen.«
»Und wie hast
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