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Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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sein Gesicht davon zu befreien, und auch nicht, die Hand hindurchzustecken, um sich irgendwo festzuhalten.
    Weil es gar keine Algen sind, begriff er mit einem Mal staunend. Es ist ein aus Riementang geknüpftes Netz zum Robbenfangen. Du bist in ein Robbennetz gefallen, ganz wie es der Schleicher bezweckt hat.
    Die Dünung warf ihn gegen die Felsen, dass ihm die Luft wegblieb. Wasser zu treten war anstrengend, weil sich das Netz um seine Beine schlang und ihn behinderte. Offenbar war es irgendwo oben in den Klippen festgemacht und außerdem mit einem Stein beschwert, denn Torak hatte Mühe, Kopf und Schultern über Wasser zu halten.
    Bale würde Tränen lachen, dachte er verbissen. Die ganze Sippe würde sich vor Lachen die Bäuche halten, wenn sie sehen könnten, wie ich einen Pfeilschuss vom Lager entfernt in einem Robbennetz zapple.
    Er hätte ein Loch in das Netz schneiden können, wenn man ihm nicht das Messer abgenommen hätte. Er musste wohl oder übel um Hilfe rufen und den unvermeidlichen Spott über sich ergehen lassen.
    »Hilfe!«, rief er. »Hier bin ich! Hört mich jemand?«
    Der Wind pfiff durch die Bucht. Am Himmel schrien die Seeschwalben. Die Wellen klatschten an die Felsen.
    Niemand kam ihm zu Hilfe. Niemand hörte ihn.
    Er hatte schon ganz lahme Beine. Seltsamerweise schien das Wasser noch zu steigen, denn es reichte ihm inzwischen bis zum Kinn.
    Schlagartig wurde ihm klar, was passierte, und jetzt geriet er in Panik. Er saß außer Hörweite des Lagers in einem Robbennetz fest und die Flut kam.
    Sie stieg schnell.

Kapitel 22

    DIE FLUT STIEG und stieg, und Torak musste sich anstrengen, um wenigstens das Kinn übers Wasser zu recken.
    Die Dünung spülte ihn unablässig erst von den Klippen weg, um ihn anschließend wieder dagegen zu schleudern. Die Meermutter schüttelte ihn durch, dass er fast keine Luft mehr bekam. Ihr Salzgeruch ließ ihn würgen, ihr unaufhörliches Ächzen dröhnte ihm in den Ohren. Sie hatte ihn gepackt und ließ ihn nicht mehr los.
    Torak versuchte, sie nicht zu beachten, und sann auf einen Ausweg. Irgendwo musste das Netz offen sein. Schließlich war er hineingefallen, da musste es auch möglich sein, wieder herauszuschlüpfen. Aber er konnte die Öffnung einfach nicht finden.
    Das Geflecht war zu engmaschig, als dass er die Faust durchstecken konnte, und die Knoten waren so steinhart, dass es keinen Zweck hatte, mit tauben Fingern daran herumzuzerren. Der Tang selbst wiederum war viel zu zäh, um ihn durchzureißen oder zu zerbeißen. »Unsere Netze müssen so haltbar sein, dass sie einer ausgewachsenen Robbe standhalten«, hatte ihm Detlan beim Tagmahl erklärt.
    Wenn er doch bloß sein Messer hätte… Gab es hier irgendetwas anderes, was denselben Zweck erfüllte?
    Wieder wurde er gegen die Felsen geworfen und schürfte sich an den Napfschnecken die Haut auf.
    Die Schnecken. Hatten ihre Gehäuse nicht scharfe Kanten? Wenn es ihm gelänge, eine abzureißen …
    Er wurde erst weggespült und dann abermals gegen den Fels geschleudert, trat strampelnd Wasser und hörte das nicht enden wollende Gelächter der Meermutter.
    Hör nicht auf sie, redete er sich gut zu. Hör meinetwegen darauf, wie dir das Blut in den Ohren rauscht, oder auf irgendetwas anderes – bloß nicht auf sie …
    Wasser tretend zwängte er den Daumen und zwei Finger durch die Maschen und angelte nach der nächstbesten Schnecke.
    Die aber hatte sich am Gestein festgesaugt und wollte nicht loslassen. Vor Anstrengung ächzend, zog Torak an dem Gehäuse, aber das saß so fest, als sei es mit dem Felsen verwachsen.
    Da fiel ihm der schwarz-weiße Vogel wieder ein, der bei seiner Ankunft am Meer eine Schnecke aufgeknackt hatte. Ähnliche Vögel hatte er auch hier auf der Insel gesehen, »Austernfischer« hatte Detlan sie genannt. Torak sah vor sich, wie der Vogel der Schnecke unvermittelt einen kräftigen Schnabelhieb versetzt hatte, sodass sie sich gar nicht erst festsaugen konnte.
    Er fasste die nächste Schnecke ins Auge und versuchte, es zu machen wie der Vogel, indem er ihr einen abrupten Schlag verpasste. Es klappte, aber die Schnecke glitt ihm aus den Fingern und trudelte jenseits des Netzes und außerhalb seiner Reichweite in die Tiefe.
    Wieder ließ ihn das Hohngelächter der Meermutter erschauern. Ich bin die Stärkere , schien sie zu raunen. Gib auf! Gib auf!
    Nein!, erwiderte er stumm. Noch nicht!
    Aus der trotzigen Antwort wurde ein Schluchzen. Noch nicht. Erst musste er ein Mittel gegen die

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