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Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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Krankheit auftreiben und es in den Wald bringen. Erst musste er Wolf noch einmal wiedersehen, Renn und Fin-Kedinn …
    Wenn das Netz wenigstens nicht beschwert wäre!
    Bei diesem Gedanken gab es ihm einen Ruck. Wenn er den Stein loswürde, wäre die Flut sein Freund. Dann würde die Meermutter entgegen ihrer Absicht zu seinen Gunsten arbeiten, wenn sie ihn das nächste Mal mitriss und gegen die Klippen warf.
    Vergiss die dummen Schnecken, schalt er sich. Sieh dich lieber unter Wasser nach dem Stein um!
    Er holte tief Luft und tauchte.
    Die Welt der Meermutter ängstigte ihn, war ein einziger Strudel aus pechschwarzem Wasser und wogenden Pflanzen. Er konnte nirgendwo das Seil erspähen, mit dem der Stein am Netz festgebunden sein musste, konnte nicht einmal oben und unten unterscheiden.
    Gierig nach Atem ringend, tauchte er wieder auf. Die Wellen schlugen höher. Nur mit Mühe konnte er verhindern, dass ihm Wasser in den Mund drang. Lippen, Gaumen und Augen brannten vom Salz. Die Beine wollten ihm nicht mehr gehorchen, das Denken fiel ihm schwer.
    »Hilfe!« , schrie er noch einmal. »Hört mich denn niemand?« Der Ruf verklang in einem scheußlichen Röcheln.
    Es wurde immer dunkler, und außer den steilen Klippen und dem blauen, mit blassen Sternen gesprenkelten Himmel konnte er kaum noch etwas sehen, und sogar dieser Anblick verschwamm immer mehr …
    Ertrinken. Die qualvollste Art zu sterben. Spüren, wie einem die Meermutter die Luft aus den Lungen drückt und die Seelen entreißt. Ohne Todeszeichen konnten die Seelen nie mehr zueinander finden. Dann würde er ein Meerdämon, der auf ewig ruhelos umherstreift, der alles Lebendige beneidet und verabscheut und ihm den Garaus machen will …
    Eine Welle schlug über ihm zusammen und er spie hustend Salzwasser.
    Ich kenne weder Arglist noch Erbarmen , raunte ihm die Meermutter ins Ohr, weder Gut noch Böse. Ich bin stärker als die Sonne. Ich bin unsterblich. Ich bin das Meer.
    Torak war schrecklich müde. Er konnte kein Wasser mehr treten, er musste eine kleine Pause machen und sich ausruhen.
    Er ging unter und die Meermutter nahm ihn in die Arme… umarmte ihn immer fester, bis ihm die Brust zu bersten drohte …
    Ein silbriges Flimmern.
    Ein Fisch, dachte er benommen. Ein kleiner. Vielleicht ein Hering?
    Noch mehr Fische kamen herbei, ein ganzer schimmernder Schwarm, und beobachteten neugierig, wie mitten unter ihnen ein großes fremdes Geschöpf mit dem Tode rang.
    Immer tiefer sank Torak, und die silbrigen Pfeile wichen ihm aus und wogten um ihn her wie ein glitzernder Strom, als ihn die Meermutter in ihrer Umarmung zermalmte …
    Er spürte einen Ruck im Leib, als risse ihm jemand die Gedärme heraus. Ihm wurde übel. Dann wurde er unversehens aus der erdrückenden Umarmung entlassen und Kälte und Finsternis waren verschwunden. Kein Netz zog ihn mehr in die Tiefe, kein Salz verätzte ihm mehr die Kehle. Er war flink und wendig wie ein Fisch – und wie einem Fisch war ihm weder kalt noch warm, sondern er war eins mit dem Meer.
    Wie deutlich er mit einem Mal sehen konnte! Das Wasser war nicht mehr schwarz und trübe, sondern die Felsen, die Wasserpflanzen, die anderen Fische … alles war gestochen scharf, nur seltsam in die Länge gezogen. Er konnte sich zwar nicht erklären, wie, aber er war selbst zum Fisch geworden. Er spürte, wie sich das Wasser kräuselte, wenn ein Artgenosse vorüberglitt, er war genauso auf der Hut und zugleich neugierig wie der ganze Schwarm. Er spürte das Wasser von den Klippen zurückströmen und hörte die Mutter in der Tiefe raunen.
    Da wurde der Schwarm jäh von Todesangst ergriffen, Panik durchzuckte die Fische wie ein Blitz – auch Torak. Ein Angreifer nahte und wollte sie ins tiefere Wasser treiben und er war riesengroß …
    Wer ist da?, fragte Torak und kämpfte mit der Angst, die ihn genauso gepackt hatte wie alle anderen. Wer hat es auf uns abgesehen?
    Der Schwarm gab keine Antwort, sondern änderte die Richtung und floh aus der Bucht ins offene Meer – floh vor dem Jäger und ließ Torak zurück. Wieder spürte er den Übelkeit erregenden Ruck im Leib …
    … dann war er wieder der alte Torak und sah den flüchtenden Heringen nach.
    Die Brust wollte ihm bersten, in seinen Ohren toste es. Er konnte nicht darüber nachdenken, was ihm eben widerfahren war. Er ertrank.
    Wie ein Wilder schlug er mit den Beinen, wehrte sich gegen die tödliche Umklammerung der Meermutter … doch das Netz widersetzte sich ihm,

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