Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)
behaglich warm , und leicht wie eine Feder war er auch. Er fühlte sich in dieser wunderschönen, gedämpft grünen Welt so wohl, dass er nie wieder fortwollte.
Trotzdem musste er Luft holen.
Widerstrebend schlug er mit den Beinen. Wie ein Kreisel trudelte er empor und zog einen Schweif silbriger Blasen hinter sich her. Doch als er den Kopf über die Wellen reckte, kam ihm die Welt außerhalb des Wassers so grell und unfreundlich vor, dass er die Nasenlöcher sofort wieder verschloss und kopfüber in das schöne grüne Licht abtauchte. Wie ein Pfeil sauste er in den Tangwald hinab.
Dort unten trieb etwas zwischen den Wedeln. Neugierig schwamm er näher.
Es war ein Junge. Er war bewusstlos. Die Strömung spülte ihn hin und her und der Tang schlang sich um seine schlaffen Glieder. War Asrif etwa auch ins Meer gestürzt? Oder Detlan? Bale? Aber das lange wogende Haar des Bewusstlosen war dunkler als das der Robbenjungen – und als sich die Strähnen teilten, blickte Torak in ein schmales Gesicht mit starren grünen Augen, das auf beiden Wangen die schwarzblauen Tätowierungen des Wolfsclans trug.
Entsetzt begriff er, dass er in sein eigenes Gesicht blickte.
Seine Gedanken jagten durcheinander wie aufgescheuchte Fische. Was geht hier vor? Bin ich tot? Ist die Clanhüterin etwa gekommen, mich auf die Todesreise mitzunehmen?
Dann kam er wieder zur Vernunft. Sei nicht albern, Torak! Die Clanhüterin eben war eine Robbe und du gehörst dem Wolfsclan an! Da müsste dich ja ein Wolf holen kommen!
Aber wenn ich nicht tot bin, überlegte er weiter und betrachtete fasziniert und abgestoßen zugleich den im Tang treibenden Jungen, was ist dann mit mir los?
Er schwamm noch näher und hielt jäh an, indem er die Vorderflossen spreizte.
Vorderflossen?
Tatsächlich, er hatte Vorderflossen. Er konnte sie wie Hände spreizen – und als er es ausprobierte, sah er sein kurzes graues Fell wogen.
Er schlug einen Purzelbaum und tauchte. Verwundert stellte er fest, dass er sogar noch die leuchtend roten, stacheligen Seesterne am Meeresgrund erkennen konnte. Er hörte Fische am Tang knabbern, hörte gepanzerte Krebsbeine über den felsigen Boden scharren.
Am meisten nahm er aber mit seinen Barthaaren wahr. Die waren so empfindlich, dass ihnen kein noch so schwaches Kräuseln des Wassers entging. Das ganze Meer war kreuz und quer von unzähligen unsichtbaren Fischfährten durchzogen. Er spürte auch, wie sich der Tang träge wiegte und die Wellen von den Klippen zurückgeworfen wurden. So verharrte er eine Weile kopfüber und versuchte, aus den vielen verwirrenden Eindrücken klug zu werden.
Da hörte er in der Ferne leisen Gesang.
Lang gezogene, unheimliche Schreie, ein wahres Geprassel wütender Schnalzlaute. Ein zorniges und klagendes Lied, das vom offenen Meer herkam.
Er erbebte von den Barthaaren bis zum Stummelschwanz. Dann spürte er, wie ein großes Geschöpf das Wasser aufwühlte und in rasender Geschwindigkeit auf ihn zugeschwommen kam.
Eine furchtbare Gewissheit überkam ihn.
Der Jäger kommt.
Abermals wurde ihm von einem stechenden Leibschmerz übel – dann war er mit einem Mal wieder er selbst, Torak. Ihm war bitterkalt, er lechzte nach Luft und konnte kaum etwas erkennen, so dunkel war es hier unten, er sah nur verschwommen, wie die Clanhüterin mit kräftigen Flossenschlägen ins tiefere Wasser floh.
Der Jäger kommt!
Torak schlug wie rasend mit den Beinen. Seine Glieder gehorchten ihm kaum, er kam quälend langsam voran, aber schließlich war er an der Oberfläche.
Keuchend und prustend, sah er sich blinzelnd um und stellte zu seiner grenzenlosen Erleichterung fest, dass ihn die Strömung ganz nah an die Felsenkette herangetragen hatte, die vom Ufer wie eine ausgestreckte Klaue ins Meer ragte. Er schlug wild mit Armen und Beinen. Wenn er an Land war, bevor der Jäger …
Als er den Kopf wandte, sah er, dass Asrif inzwischen vom Adlerfelsen herabgestiegen war, auf und ab hüpfte und ihm etwas zubrüllte. Dann bestiegen Bale und Detlan ihre Boote und ruderten los, um ihn zu retten. Torak fuhr der Schreck in alle Glieder. Begriffen die beiden nicht, dass sie in viel größerer Gefahr schwebten als er? Schwimmend konnte er die rettenden Felsen vielleicht erreichen, aber in ihren Booten waren sie für den mordlustigen Jäger eine leichte Beute.
»Nein!« , schrie er. »Kehrt um! Geht wieder an Land! «
Sie hörten ihn nicht. Oder dachten sie, er riefe um Hilfe?
Er bot alle Kraft auf und schwamm noch
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