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Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Seelenwanderer: Band 2 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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paar kurze, abgehackte Kläfflaute. Wo bist du? , rief Wolf.
    Torak legte die Hände an den Mund. Hier bin ich! Leise, aber deutlich drang eine Antwort durch die Nebelschwaden, kam übers Meer zu ihm herübergeweht.
    Torak heulte noch einmal: Ruf mich, mein Rudelgefährte, ruf mich!
    Hunger, Müdigkeit und Kälte waren vergessen. Nicht einmal Kerbfinne konnte ihn noch schrecken, denn jetzt kam ihm Wolf zu Hilfe und wies ihm den Weg. Auf ihn konnte er sich verlassen.
    Das Wasser war eiskalt, doch Torak überwand sich, ließ sich mit dem Luftsack auf dem Rücken ins Meer gleiten, dem Nebel und allen wütenden Walen zum Trotz, und schwamm los.

    In der nebelverhangenen kleinen Bucht hörte Renn fernes Wolfsgeheul und fuhr zusammen.
    Es klang nach … ja, es war Wolf! Und Torak antwortete ihm! Toraks Geheul erkannte sie immer und überall. Dann war er also noch am Leben!
    Bestimmt wollte er ebenfalls zum Lager der Robben. Das spornte sie zusätzlich an.
    Der Nebel war so dicht, dass sie keine zwei Schritt weit sehen konnte. Wie eine Blinde tastete sie sich mit ausgestreckten Händen zwischen Felsen und Bäumen zur Robbenbucht voran.
    Dann gab es keine Bäume mehr. Sie konnte immer noch nichts sehen. Kein Lager. Kein Meer. Bis auf das Plätschern kleiner Wellen auf Kieseln ganz in der Nähe war kein Laut zu vernehmen.
    Sie stolperte auf gut Glück weiter.
    Ein Scharren, ein gedämpftes Schnaufen. Jemand zog ein Boot an Land. Als eine große Gestalt aus dem Nebel gelaufen kam, konnte Renn nicht mehr ausweichen, und der Unbekannte stieß mit ihr zusammen.
    Beide schrien auf und sprangen zurück.
    »Wer bist du?«, rief der Junge.
    »Wo ist Torak?«, rief Renn.
    Beide standen mit offenen Mündern und ängstlich aufgerissenen Augen da.
    Renn erkannte den großen Robbenjungen wieder, der zusammen mit Torak vom Adlerfelsen aufgebrochen war.
    »Wer bist du?« , wiederholte er und kniff argwöhnisch die Augen zusammen.
    »Ich bin Renn.« Sie gab sich Mühe, selbstbewusst zu klingen. »Wo ist Torak? Was habt ihr mit ihm gemacht?«
    Sein Blick streifte ihren Bogen. Er ließ die Schultern hängen. »Der Sturm«, sagte er leise, »wir wurden getrennt. Ich… ich habe gesehen, wie sein Boot gekentert ist.«
    »Ja und?«
    Der Junge rieb sich die Augen, und sie sah, dass er todmüde war. »Tenris hat noch versucht, ihn rauszuziehen. Ich auch. Aber… Tenris ist immer noch draußen und sucht ihn.« Er wirkte ehrlich besorgt, und wäre er nicht vom Robbenclan gewesen, hätte er Renn Leid getan. »Vorhin hat es so seltsam geheult«, fuhr er fort, »so etwas habe ich noch nie gehört.«
    Renn war versucht, ihm alles zu erzählen, doch sie verbot es sich sogleich. Man durfte ihm nicht trauen. Sollte er doch glauben, dass Torak ertrunken war. Sie war vom Gegenteil überzeugt. Sie hatte Torak und Wolf heulen gehört, und das konnte nur bedeuten, dass beide wohlauf waren.
    Noch ein Boot kam durch den Nebel geglitten und ein Mann stieg aus. Es war der Robbenschamane.
    Er lief sofort zu dem Jungen hin, dann erblickte er Renn und blieb überrascht stehen. »Ich konnte ihn nicht finden«, wandte er sich an den Jungen. Auch er wirkte so niedergeschlagen, dass sich Renn schon fragte, ob sie die Robben womöglich falsch einschätzte.
    »Und wen haben wir da?«, fragte der Schamane jetzt. Er blickte freundlich drein und seine Stimme war ruhig und kraftvoll wie das Meer an einem sonnigen, windstillen Tag. Trotzdem verspürte Renn ein vages Misstrauen.
    »Ich bin Renn vom Rabenclan«, erwiderte sie.
    »Und was machst du hier, Renn vom Rabenclan?«
    »Ich … ich suche Torak.« Dabei hatte sie das gar nicht sagen wollen, aber seine Stimme hatte sie dazu gebracht.
    »Wir auch«, sagte der Schamane mit düsterer Miene. »Komm mit. Wir gehen ins Lager, dort können wir beratschlagen, was zu tun ist.«
    Im Gehen zog er die Kapuzenjacke aus und Renn sah zum ersten Mal seinen prächtigen Schamanengürtel und hörte die Lundenschnäbel leise klimpern.
    Sie blieb stehen.
    Das Geräusch kam ihr bekannt vor. Sie hatte es schon einmal gehört… als der Unbekannte über den See gerudert war.
    Sie erschauerte und bekam rasendes Herzklopfen. Mit einem Mal passte alles zusammen. Das Tokoroth… die Krankheit… die Seelenesser…
    Der Robbenschamane drehte sich nach ihr um und erkundigte sich, was los sei.
    Das Blut hämmerte ihr in den Ohren, als sie zu seinem anziehenden, grässlich entstellten Gesicht aufblickte. Beim Robbenclan lebt ein Seelenesser , dachte sie.

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