Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)
Blick zu.
Fin-Kedinn sah das Mädchen nachdenklich an. »Bist du dir da ganz sicher?«
»Nein«, gab sie zu. »Vielleicht ist er es, vielleicht auch nicht. Wir müssen uns erst vergewissern.«
Fin-Kedinn strich sich den Bart. »Und was bringt dich auf diesen Gedanken?«
»Die Art und Weise, wie er mit Hord gekämpft hat. Und das da habe ich bei seinen Sachen gefunden.« Torak sah die kleine Knochenpfeife auf ihrer Handfläche. »Wozu brauchst du die?«, wandte sich das Mädchen an ihn.
»Damit rufe ich den Welpen«, gab er zurück.
Renn blies hinein und Wolf wand sich in Toraks Armen. Die Zuschauer tuschelten miteinander. Renn und Fin-Kedinn wechselten einen Blick. »Es kommt kein Ton heraus«, sagte das Mädchen vorwurfsvoll.
Torak ging nicht darauf ein. Er stellte erschrocken fest, dass sie nicht wie ihr Bruder strahlend blaue Augen hatte, sondern schwarze, schwarz wie Moortümpel. War sie etwa auch eine Schamanin?
Sie drehte sich wieder nach ihrem Onkel um. »Er darf erst gehen, wenn wir ganz sicher sind.«
»Da ist was dran«, stimmte ihr die Schamanin zu. »Du weißt genauso gut wie ich, was man sich erzählt. Wir alle wissen das.«
»Was soll das heißen, was man sich erzählt ?«, platzte Torak heraus. »Wir hatten ein Abkommen, Fin-Kedinn. Wir haben ausgemacht, dass Wolf und ich gehen können, wenn ich den Zweikampf gewinne.«
»Nein«, widersprach der Anführer, »wir haben ausgemacht, dass ihr am Leben bleibt. Und daran halte ich mich auch. Jedenfalls fürs Erste. Oslak, leg ihm die Fesseln wieder an.«
»Nein!« , schrie Torak.
»Du hast gesagt, dass dein Vater von einem Bären getötet wurde«, warf Renn ein. »Diesen Bären kennen wir. Einige von uns haben ihn sogar gesehen.«
Hord, der neben ihr stand, erschauerte und kaute an seinem Daumennagel.
»Vor etwa einem Mond ist er hier aufgetaucht«, fuhr Renn leise fort. »Wie ein Schatten hat er den Wald verfinstert und mutwillig alles getötet, was ihm über den Weg lief, sogar andere Jäger. Wölfe. Einen Luchs. Als ob er… als ob er etwas Bestimmtes suchte.« Sie machte eine Pause. »Vor dreizehn Tagen ist er schließlich verschwunden. Ein Läufer vom Eberclan hat ihn im Süden entdeckt. Wir dachten, er wäre fort, und dankten unserem Clanhüter.« Sie schluckte. »Jetzt ist er wieder da. Gestern sind unsere Kundschafter aus dem Westen zurückgekehrt. Bis zum Meer sind sie gewandert und er hat überall seine tödliche Spur hinterlassen. Der Walclan hat ihnen berichtet, dass er sich vor drei Tagen ein Kind geholt hat.«
Torak leckte sich die Lippen. »Und was hab ich damit zu tun?«
»Es gibt bei uns eine Weissagung«, fuhr Renn fort, als hätte sie die Frage nicht gehört. »Ein Schatten verwüstet den Wald. Nichts und niemand kann ihn aufhalten.« Stirnrunzelnd unterbrach sie sich.
An ihrer Stelle sprach die Schamanin weiter. »Dann kommt der Lauscher. Er kämpft mit Luft und spricht mit Stille.« Dabei blickte sie auf die Pfeife in Renns Hand.
Die Zuschauer waren jetzt verstummt und beobachteten Torak.
»Ich bin nicht euer Lauscher«, sagte er.
»Du könntest es schon sein«, gab die Schamanin zurück.
Torak überlegte. Der Lauscher kämpft mit Luft… Genau das hatte er getan: Er hatte Dampf als Waffe eingesetzt. »Und was geschieht mit ihm?«, fragte er leise. »Was geschieht mit dem Lauscher aus eurer Weissagung?« Aber er hatte das ungute Gefühl, die Antwort zu wissen.
Die Stille war fast mit Händen zu greifen. Toraks Blick schweifte über die angstvollen Gesichter der Umstehenden und das Feuersteinmesser an Oslaks Gürtel. Er betrachtete den Keiler am Baum, aus dem dunkles Blut in den darunter aufgestellten Trog tropfte. Er spürte Fin-Kedinns eindringlichen Blick auf sich ruhen und drehte sich um.
»Der Lauscher« , sagte Fin-Kedinn, »opfert dem Berg sein Herzblut. Und der Schatten wird vernichtet.«
Sein Herzblut.
Das Blut tropfte leise in den Trog.
Tropf, tropf, tropf.
Kapitel 10
»WAS WOLLT IHR mit mir machen?«, fragte Torak, als ihm Oslak erst die Hände auf den Rücken fesselte und ihn dann an den Pfosten band. »Was habt ihr vor?«
»Das erfährst du früh genug«, gab Oslak zurück. »Fin-Kedinn möchte, dass es bis zum Morgengrauen entschieden ist.«
Bis zum Morgengrauen, dachte Torak.
Er wandte den Kopf und sah zu, wie Oslak den widerspenstigen Wolf mit einer kurzen Lederleine an denselben Pfosten band.
Toraks Zähne schlugen aufeinander. »Und wer hat zu entscheiden, was mit mir geschieht? Warum
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