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Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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getötet.«
    Hord warf einen verstohlenen Blick über die Schulter. »Ich hab ihn auch gesehen«, raunte er.
    »Wann denn? Und wo?«
    Hord zuckte zurück, als wollte er einem Schlag ausweichen. »Im Süden. Ich war beim Rotwildclan zu Gast. Dort habe ich die Schamanenkunst erlernt. Unsere Schamanin Saeunn«, er deutete mit dem Kinn auf die alte Frau, die sich immer noch mit dem Raben unterhielt, »hat mich hingeschickt.« Wieder kaute er auf seiner Daumenkuppe, die schon blutete. »Ich war dabei, als der Bär gefangen wurde. Ich … ich habe zugesehen, wie er erschaffen wurde.«
    Torak sah ihn verdutzt an. »Erschaffen? Wie meinst du das?«
    Aber Hord war schon wieder gegangen.

    Mittnacht war um, der sterbende Mond ging auf und das Sippentreffen war immer noch im Gange. Wolf leckte und nagte beharrlich an den Lederriemen, aber Oslak hatte die Knoten fest zugezogen, und Wolf gelang es nicht, sie ganz zwischen die Zähne zu nehmen. Mach weiter, beschwor ihn Torak stumm. Bitte mach weiter.
    Er war zu verängstigt, um Hunger zu verspüren, aber er war von dem Zweikampf mit Hord zerschrammt und zerschlagen, und vom langen Stillsitzen tat ihm der Nacken weh. Selbst wenn es Wolf gelänge, die Fesseln durchzubeißen, bezweifelte Torak, dass er noch genug Kraft hätte, den Wachen zu entkommen und davonzulaufen.
    Er dachte über das eben Gehörte nach. »Ich habe zugesehen, wie er erschaffen wurde«, hatte Hord gesagt.
    Und noch etwas: Hord hatte den Rotwildclan besucht, die Sippe, der auch Toraks Mutter angehört hatte. Torak hatte seine Mutter nicht gekannt, denn sie war gestorben, als er noch ganz klein war, aber wenn der Rabenclan mit ihrer Sippe befreundet war, konnte er sie vielleicht doch noch überreden, ihn laufen zu lassen…
    Draußen schlurften Stiefel durch den Staub. Rasch. Wer da kam, durfte Wolf nicht erwischen.
    Torak konnte gerade noch ein warnendes »Wuff!« ausstoßen (auf das Wolf zu seiner Erleichterung hörte), da tauchte auch schon Renn vor der Hütte auf. Sie knabberte an einer gebratenen Hasenkeule.
    Ihr scharfer Blick streifte Wolf, der mit Unschuldsmiene hinter Torak hockte, und blieb auf Torak haften, der ihn erwiderte, um sie davon abzuhalten, noch näher zu kommen.
    Er deutete mit dem Kinn auf das Langfeuer und fragte, ob unter den Anwesenden jemand vom Wolfsclan sei.
    Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Von denen sind nicht mehr viele übrig. Da kommt dich keiner retten, falls du das meinst.«
    Torak schwieg, drückte nur unauffällig die Handgelenke aneinander und spürte die Riemen ein wenig nachgeben. Wenn das Leder feucht war, ließ es sich dehnen. Wenn Renn nur wieder verschwinden würde!
    Doch sie rührte sich nicht von der Stelle. »Vom Wolfsclan nicht«, wiederholte sie mit vollem Mund, »aber von den anderen Sippen. Die Frau mit dem gelben Lehmkopf da drüben gehört zum Auerochsenclan. Die leben im Großen Wald und beten viel. Deswegen sind sie dafür, dass wir den Weltgeist anflehen, uns von dem Bären zu befreien. Der Mann mit der Axt kommt vom Eberclan. Er schlägt vor, den Bären mit einer Feuerwand in Richtung Meer zu treiben. Und die Frau mit dem Erdblut im Haar ist vom Rotwildclan. Keine Ahnung, was die vorschlagen. Bei denen weiß man nie, was sie denken.«
    Torak wunderte sich, dass sie so viel redete. Was wollte sie eigentlich?
    Was auch immer, er beschloss, darauf einzugehen, um sie von Wolf abzulenken. »Meine Mutter gehörte zum Rotwildclan. Vielleicht ist die Frau da drüben ja eine Blutsverwandte von mir. Vielleicht…«
    »Sie sagt, sie kennt dich nicht. Sie wird dir nicht helfen.«
    Torak dachte nach. »Ihr seid mit dem Rotwildclan befreundet, stimmt’s? Dein Bruder hat mir erzählt, dass er bei ihnen die Schamanenkunst erlernt hat.«
    »Ach ja?«
    »Er… er sagte, er hätte gesehen, wie der Bär ›erschaffen‹ wurde. Was meint er damit?«
    Renn blickte ihn aus schmalen Augenschlitzen argwöhnisch an.
    »Es ist wichtig für mich«, fuhr Torak fort. »Der Bär hat schließlich meinen Vater getötet.«
    Renn betrachtete ihre Hasenkeule. »Hord war ihr Ziehsohn. Du weißt, was das ist, oder?« Es klang ein wenig verächtlich. »Es bedeutet, dass man eine Zeit lang bei einer anderen Sippe lebt, mit deren Leuten Freundschaft schließt und sich vielleicht auch dort eine Gefährtin sucht.«
    »Davon habe ich schon gehört«, erwiderte Torak. Er spürte Wolf wieder an den Lederriemen herumschnüffeln. Er wollte ihn mit den gefesselten Händen wegscheuchen, aber es

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