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Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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darf ich nicht für mich selbst sprechen? Wer sind die ganzen Leute, die drüben am Feuer sitzen?«
    »Aua!«, rief Oslak. Wolf hatte ihn in den Finger gezwickt. »Fin-Kedinn hat Läufer ausgeschickt, um wegen des Bären ein Sippentreffen einzuberufen. Jetzt entscheiden sie über dich gleich mit.«
    Torak spähte zum Feuer hinüber. Dort saßen zwanzig, dreißig Männer und Frauen, die Gesichter von den Flammen beleuchtet. Er machte sich keine großen Hoffnungen.
    Bis zum Morgengrauen. Bis dahin musste er von hier verschwunden sein.
    Aber wie? Er saß in einer Hütte, war an einen Pfosten gefesselt und hatte weder Waffen noch seine Rückentrage, und selbst wenn es ihm gelänge, sich zu befreien: Das Lager war streng bewacht. Bei Einbruch der Dunkelheit hatte man rings um die Lichtung Feuer entzündet, an denen Männer mit Speeren und Rufhörnern aus Birkenrinde Wache hielten. Fin-Kedinn wollte wegen des Bären kein Risiko eingehen.
    Oslak zog Torak die Stiefel aus und band ihm auch noch die Knöchel zusammen, dann ging er und nahm die Stiefel mit.
    Torak konnte nicht hören, was am Feuer gesprochen wurde, aber dank der seltsamen Bauweise der Hütte konnte er die Versammelten wenigstens sehen. Hinter ihm fiel das Dach aus Rentierfellen schräg ab, auf der Vorderseite dagegen war die Hütte offen. Dort gab es nur einen Querbalken, der offenbar den Rauch des kleinen Feuers, das vor ihm knisterte, ablenken und dafür sorgen sollte, dass die Wärme drinnen blieb.
    Torak versuchte angestrengt mitzubekommen, was draußen vor sich ging. Ein Sippenvertreter nach dem anderen erhob sich und ergriff das Wort. Ein breitschultriger Mann mit einer riesigen Axt. Eine Frau mit langem nussbraunem Haar, wovon eine Locke mit roter Ockerpaste an die Schläfe geklebt war. Ein leidenschaftlich dreinblickendes Mädchen, das sich den Kopf mit gelbem Lehm eingeschmiert hatte, sodass er wie raue Eichenrinde aussah.
    Fin-Kedinn selbst konnte er nicht erkennen, aber etwas abseits des Feuers kauerte die Schamanin auf der staubigen Erde und beobachtete einen großen Raben mit schimmerndem Gefieder. Der Vogel stolzierte ohne Scheu vor ihr auf und ab und stieß ab und zu ein heiseres »Krah!« aus.
    Ob das der Clanhüter war? Aber was erzählte er der Schamanin? Wie er, Torak, geopfert werden sollte? Ob man ihn ausnehmen sollte wie einen Lachs oder lieber aufspießen wie einen Hasen? Er hatte zwar noch nie gehört, dass irgendeine Sippe, außer in der fernen, schlimmen Zeit nach der Großen Flut, Menschenopfer dargebracht hatte, andererseits hatte er auch noch nie etwas vom Rabenclan gehört.
    »Fin-Kedinn möchte, dass es bis zum Morgengrauen entschieden ist… Der Lauscher opfert dem Berg sein Herzblut …«
    Hatte Fa diese Weissagung gekannt? Nein, unmöglich, er hätte niemals seinen eigenen Sohn in den Tod geschickt.
    Aber dennoch… er hatte Torak schwören lassen, den Berg zu suchen. Hasse mich nicht eines Tages deswegen, hatte er gesagt.
    Eines Tages. Wenn du es erfährst.
    Die raue Zunge des Welpen fuhr über seine Handgelenke und riss ihn aus seinen Grübeleien. Wolf mochte den Geschmack der Lederriemen. Torak schöpfte neue Hoffnung. Wenn er Wolf dazu bringen konnte, die Riemen nicht nur abzuschlecken, sondern durchzubeißen …
    Während Torak noch überlegte, wie er das in der Wolfssprache ausdrücken konnte, erhob sich ein Mann vom Langfeuer und kam quer über die Lichtung auf ihn zu. Es war Hord.
    Erschrocken knurrte Torak Wolf ein Halt! zu. Doch der Welpe war zu hungrig, um zu gehorchen, und leckte weiter an den Fesseln.
    Zum Glück schenkte ihm Hord keine Beachtung. Er blieb an dem kleinen Feuer stehen, kaute an seinem Daumennagel und stierte Torak wütend an. »Du bist nicht der Lauscher«, fauchte er, »das kann nicht sein.«
    »Dann sag das den anderen«, gab Torak zurück.
    »Wir brauchen kein Kind , das uns hilft, den Bären zu töten. Das können wir auch allein. Ich werde die Sippen von ihm befreien!«
    »Das schaffst du nicht«, entgegnete Torak. Er spürte Wolfs scharfe Schneidezähne an den Riemen nagen und hielt ganz still, um ihn nicht abzulenken. Er hoffte inständig, dass Hord nicht genauer hinsah und merkte, was der Welpe da machte.
    Aber dafür war der junge Mann viel zu aufgebracht. Er ging ein paarmal auf und ab, dann wandte er sich wieder an Torak. »Du hast ihn gesehen, nicht wahr? Du hast den Bären gesehen.«
    »Natürlich hab ich ihn gesehen«, antwortete Torak überrascht. »Schließlich hat er meinen Vater

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