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Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)

Titel: Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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eine Wegbiegung und standen vor einer umgestürzten Birke, die aus tiefen Klauenspuren in der Rinde blutete.
    Weder Torak noch Renn sagten etwas. Beide wussten, dass Bären manchmal Krallenspuren an Bäumen hinterließen, um ihr Revier zu markieren und andere Jäger abzuschrecken.
    Wolf ging zu der Birke und schnüffelte daran. Torak folgte ihm … und stieß einen erleichterten Seufzer aus. »Ein Dachs.«
    »Bist du sicher?«, fragte Renn.
    »Die Kratzer sind kleiner als die von einem Bären. Außerdem klebt Erde an der Rinde.« Er ging um den Baum herum. »Seine Vorderpfoten waren vom Wühlen nach Würmern mit Erde verschmiert. Hier ist er stehen geblieben, um sie sauber zu kratzen. Dann hat er sich wieder in seinen Bau verzogen. Da lang …« Er wies nach Osten.
    »Woher weißt du das alles?«, fragte Renn. »Hat dir Wolf das beigebracht?«
    »Nein. Der Wald.« Er bemerkte ihr verdutztes Gesicht. »Vorhin habe ich ein Rotkehlchen mit Dachshaaren im Schnabel gesehen. Es kam von Osten geflogen.« Er zuckte die Achseln.
    »Du kannst gut Fährten lesen, stimmt’s?«
    »Fa konnte es besser.«
    »Jedenfalls bist du darin besser als ich«, sagte Renn. Es klang nicht neidisch, sie stellte es lediglich fest. »Aber warum sollte sich ein Wolf vor einem Dachs fürchten?«
    »Ich glaube nicht, dass das der Grund war«, antwortete Torak. »Ich glaube, es war etwas anderes.«
    Sie hielt ihm seine Axt, seinen Köcher und seinen Bogen hin. »Hier. Nimm du das lieber.«
    Sie pirschten weiter. Vorneweg Wolf, in der Mitte Torak, der nach Spuren Ausschau hielt, und als Letzte Renn, die angestrengt ins Dickicht zwischen den Bäumen spähte.
    Nach etwa fünfzig Schritt blieb Torak so plötzlich stehen, dass sie gegen ihn prallte.
    Die junge Birke stöhnte noch, aber sie hatte nicht mehr lange zu leben. Der Bär hatte sich auf die Hinterbeine gestellt, um seiner Wut freien Lauf zu lassen. Er hatte die Baumspitze komplett abgebissen, die Rinde in langen, blutenden Fetzen abgerissen und hoch oben klaffende Furchen in den Stamm geschlagen. Erschreckend hoch oben. Hätte sich Renn auf Toraks Schultern gestellt, wäre sie gerade eben an die untersten Klauenspuren herangekommen.
    »So groß kann kein Bär sein«, flüsterte sie.
    Torak antwortete nicht. Er half Fa wieder in der herbstlich blauen Abenddämmerung, ein Lager aufzuschlagen. Dann brach der Wald über sie herein. Raben krächzten. Kiefern knackten. Und aus dem Dunkel unter den Bäumen sprang etwas noch Dunkleres …
    »Es ist alt«, sagte Renn.
    »Was?«
    Sie wies auf den Stamm. »Das Baumblut ist schon hart geworden. Sieh doch – es ist fast schwarz.«
    Torak betrachtete den Baum näher. Sie hatte Recht. Seit der Bär über den Baum hergefallen war, mussten mindestens zwei Tage vergangen sein.
    Trotzdem konnte er Renns Erleichterung nicht teilen. Sie wusste das Schlimmste nicht.
    Je öfter er tötet, desto stärker wird er , hatte Fa gesagt.  … Wenn das rote Auge am höchsten steht… ist der Bär unbesiegbar.
    Das hier war der Beweis. An jenem Abend, als er Fa angefallen hatte, war der Bär riesig gewesen. Aber nicht derart riesig!
    »Er wird immer größer«, sagte er.

    » Was soll das heißen? «, fragte Renn.
    Torak erzählte ihr, was Fa gesagt hatte.
    »Aber… bis dahin dauert es nicht mal mehr einen Mond.«
    »Ich weiß.«
    Ein paar Schritt neben dem Pfad entdeckte Torak drei lange schwarze Haare, die sich ungefähr in Kopfhöhe an einem Zweig verfangen hatten. Unwillkürlich wich er zurück. »Dort ist er durchgelaufen.« Er zeigte ins Tal hinunter. »Siehst du, wie die Zweige hinter ihm in eine andere Lage zurückgeschnellt sind?«
    Doch er war keineswegs beruhigt. Der Bär konnte auf einem anderen Weg zurückgekommen sein.
    Da ertönte aus dem Unterholz das vernehmliche Tick-Tick eines Singhüpfers.
    »Ich glaube nicht, dass er noch in der Nähe ist«, sagte Torak erleichtert. »Sonst hätte der Singhüpfer nicht gerufen.«
    Als es dunkel wurde, bauten sie sich eine leichte Hütte aus miteinander verflochtenen Haselnussschösslingen und Blättermulch. Stecheichenblätter sorgten zumindest für einen Anschein von Schutz. Sie entfachten ein kleines Feuer und aßen ein paar Streifen Räucherfleisch. An die Lachsfladen trauten sie sich nicht heran, denn die hätte der Bär aus einer Entfernung von mehreren Tagesmärschen gewittert.
    Es war eine kalte Nacht. Torak saß, in seinen Schlafsack gehüllt, da und lauschte auf das schwache, ferne Grollen, das laut Renn von

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