Chronik der dunklen Wälder - Wolfsbruder: Band 1 (German Edition)
im Ohr, lief Torak flussabwärts nach Westen, wobei er sich immer im Schutz der Weiden hielt und Wolf auf dem Arm trug, damit seine Pfoten keine Duftspuren hinterließen.
Überraschenderweise hörten sie nichts von den Verfolgern. Das fand Torak fast noch beängstigender als zuvor das Tuten der Rindenhörner.
Renn legte einen strammen Schritt vor und Torak strauchelte oft. Er war müde und hungrig, sie dagegen ausgeruht und satt, was auch bedeutete, dass Weglaufen wenig Sinn hatte. Allerdings war sie kleiner als er, und er nahm an, dass er sie kampfunfähig machen könnte, bevor sie mit ihren Pfeilen allzu viel Schaden anrichtete.
Die Frage war nur, wann? Im Augenblick schien sie selbst darauf erpicht, den Jägern des Rabenclans zu entwischen, und zeigte ihm schmale, gewundene Wildwechsel, die so überwuchert waren, dass sie guten Sichtschutz boten. Daher beschloss Torak abzuwarten, bis sie sich noch weiter vom Lager entfernt hatten. Aber ihre Beleidigungen nagten an ihm.
»Ich bin kein Feigling«, sagte er über die Schulter, als sie dem Flusslauf in ein schattiges Eichengehölz folgten und seine Angst vor den Verfolgern allmählich nachließ.
»Warum bist du dann abgehauen?«
»Ihr wolltet mich opfern!«
»Das war überhaupt nicht beschlossene Sache. Sie waren sich noch nicht einig.«
»Und was hätte ich tun sollen? Einfach abwarten?«
»Die Weissagung kann zweierlei bedeuten«, erwiderte Renn gelassen. »Das hättest du schon noch erfahren, wenn du nicht weggelaufen wärst.«
»Und ich nehme an, ich erfahre es jetzt von dir, weil du ja immer alles weißt«, versetzte Torak giftig.
Renn seufzte. »Die Weissagung kann einmal bedeuten, dass wir dich opfern, dein Blut dem Berg darbringen und uns auf diese Weise von dem Bären befreien sollen. So legt Hord es jedenfalls aus. Er will dich töten, damit er selber dem Berg dein Blut bringen kann.« Sie machte eine Pause. »Saeunn ist anderer Meinung«, fuhr sie dann fort. »Sie glaubt, nur du allein kannst den Berg finden und den Bären vernichten.«
Torak drehte sich um und sah sie groß an. »Ich? Ich soll den Bären vernichten?«
Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß. »Ich gebe ja zu, es klingt unwahrscheinlich. Aber Saeunn ist fest davon überzeugt und ich ebenfalls. Der Lauscher muss den Berg des Weltgeistes suchen, und wenn er ihn gefunden hat, hilft ihm der Geist, den Bären zu vernichten.«
Torak blinzelte verwirrt. Das war doch Unsinn. Eine Verwechslung.
»Warum wehrst du dich so dagegen?«, fragte Renn angriffslustig. »Du bist nun mal der Lauscher. Das weißt du auch. Du hast mit Luft gekämpft, wie es in der Weissagung heißt. Du hast mit Stille gesprochen, nämlich mit deiner Pfeife. Und zu Anfang der Weissagung heißt es, dass der Lauscher mit den anderen Jägern des Waldes reden kann, und genau das kannst du, weil dich dein Vater als kleines Kind zu einer Wölfin in die Höhle gelegt hat.«
Torak warf ihr einen misstrauischen Blick zu. »Woher weißt du das?«
»Ich hab zugehört«, erwiderte sie knapp.
Sie liefen weiter den Fluss entlang nach Westen. Unterwegs hörte Torak Gimpel in den Brombeerbüschen flöten und einen Kleiber auf der Suche nach Maden an einen Ast trommeln. Wo es so viele Vögel gab, musste der Bär weit weg sein …
Plötzlich stellte Wolf die Ohren auf und seine Barthaare zuckten.
»Runter!«, zischte Torak und zog Renn zu Boden.
Im nächsten Moment glitten auch schon zwei Einbäume an ihnen vorüber. Torak konnte den, der näher am Ufer war, gut erkennen. Das kurze braune Haar des Ruderers war über der Stirn zu Fransen geschnitten. Um die breiten Schultern trug er einen steifen Fellumhang und auf seiner Brust baumelte an einem Lederriemen der Hauer eines Keilers. Eine Wurfaxt aus schwarzem Schiefer lag auf seinen Knien. Wie sein Gefährte im anderen Boot ruderte er mit kräftigen Schlägen und ließ dabei den Blick über das Ufer schweifen. Es war nur zu deutlich, wonach er Ausschau hielt.
»Eberclan«, raunte Renn. »Offenbar hat Fin-Kedinn sie gebeten, ihm bei der Suche nach uns zu helfen.«
Sofort war Toraks Argwohn wieder geweckt. »Woher hat er gewusst, dass wir hier lang laufen? Hast du etwa Spuren gelegt?«
Renn verdrehte die Augen. »Wozu?«
»Ich nehme an, du willst mich zu einer anderen Sippe bringen, damit man mich dort opfert.«
»Vielleicht sind die beiden vom Eberclan auch nur hier vorbeigekommen«, sagte sie gereizt, »weil ihr Herbstlager flussabwärts liegt und …«
Sie stockte. »Woher
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