Chronik der Nähe
alle mit dem
gleichen waghalsigen, braun gebrannten Blinzeln, hinter dir, neben dir, dir zu
FüÃen. Ich beneide dich fast, so wie du vielleicht mich beneidest. Aber nicht
um die Jungs, von denen gab es nicht so viele für mich, ich bin zu sensibel,
empfindsam, feinfühlig, schüchtern, bange, feige. Du warst freier, vogelfrei,
gingst tanzen, gingst küssen, Liebe hinter den Büschen im Stadtpark, rudelweise
Jungs.
â Na, Rudel, das ist übertrieben, sagst du, aber die Ãbertreibung
gefällt dir, du in einem Jungsrudel mitten in Paris mit warmen Croissants in
den Händen, mir gefällt es auch.
â Wollen wir da nicht zusammen hinfahren, frage ich dich, frage am
Telefon, frage beim Osterbesuch, Pfingstbesuch, Geburtstagsbesuch, Herbstbesuch
und Zwischendurchbesuch, ja, das ist es, nach Paris, Mama, dann zeigst du mir,
wo ihr die Croissants gegessen habt.
â Na, da gibt es nicht viel zu zeigen, das ist schon lange her,
wahrscheinlich ist dort inzwischen alles anders.
â Mama, ich glaube nicht, dass sich der Montmartre sehr verändert
hat in den letzten Jahren, oder wir fahren eben woandershin.
â Ja ja, das machen wir mal, sagst du, aber ich habe mich
festgebissen in diese Reise: wir beide in meinem kleinen Auto, in einem
Hotelbett, am Montmartre, Hand in Hand oder Zeitung lesend im Café, du könntest
mir alles übersetzen, akzentfrei den Kaffee bestellen, ich wünsche mir das zu
Weihnachten, Geburtstag, Ostern, Pfingsten.
Solche Rudel gibt es bei mir nicht, also brauchst du mich nicht zu
beneiden, ich weià nicht, woher manchmal der Neid hineinkriecht in deinen
Blick: Die Jungs waren es nicht.
â Deine Jungs, die hieÃen doch alle gleich, die waren alle hübsch,
die wollten dich alle.
Man muss sich rar machen, rätst du mir, nicht gleich mit dem ersten
Besten, das mögen Männer nicht, sie wollen dich jagen, umwerben, sie wollen
dich gewinnen, den Spaà darfst du ihnen nicht nehmen.
Hast du dich rar gemacht, ich weià es nicht, sieht nicht so aus, die
Fahrt nach Paris, alle in dem engen Auto, Schultern um die Arme, Beine an
Beinen, Köpfe an Schultern, das waren ja auch nicht die ersten Besten, das
waren die Besten.
Meine waren nicht immer die Besten, sie standen auf dem Prüfstein,
der Richtige war der Richtige, gut, aber die andern.
â Die â na ja. Die hätten schon mal, die müssten eigentlich, findest
du nicht, also, ich sag ja nichts.
Nichts gesagt Papa, nichts gesagt du, ihr haltet euch da einfach
raus, es war ja meine Sache, und ich würde nicht fragen.
Na oder doch, beim Wein, als er dann weg war.
â Wie findet ihr ihn denn nun, so, jetzt ist es raus.
â Ja, nett natürlich.
â Was heiÃt nett.
â Was heiÃt denn schon nett, nett heiÃt nett.
â Also, nett bedeutet ja erst mal nicht sehr viel. Papa, sag doch
auch mal was.
â Na, er ist â klug. Er kennt sich bestimmt in seinem Fach aus. Er
ist schon sehr zurückhaltend, das wohl. Aber â aber klug ist er sicher
trotzdem, er sagt wohl einfach nicht viel. Er ist sehr schmal, neben dir sieht
er sehr schmal aus.
â Findest du ihn zu schmal.
â Schatz, es ist doch wirklich egal, was ich finde, Hauptsache, du
magst ihn. Er â er ist aber schon um einiges älter als du, oder. Ja, das sieht
man, das macht ja nichts, aber du weiÃt ja, ich sage ja immer, und das ist
meine Erfahrung: Man muss sich rar machen.
â So wie als ihr alle nach Paris gefahren seid.
â Das waren ja nicht die ersten Besten, die kannte ich ja seit
Jahren, wir waren alle gleich alt.
Diese leisen Vorbehalte: vielleicht doch zu alt, nicht so
mitteilsam, warum gibt er sich nicht etwas mehr Mühe, er weià doch, wie wichtig
meine Mutter ist, warum muss er fachsimpeln, warum kann er nicht einfach
mitspielen, und ist er vielleicht zu schmal, ach was. Ist das komisch, ein
schmaler Mann und eine üppige junge Frau, ach was. Lasse ich mir reinreden in
meine Lieben von meiner Mutter, ach was.
Du hast dir ja auch nicht reinreden lassen in deine Lieben, in all
deine Jungs, die dich nach Paris kutschierten und in die Alpen und auch mal an
die Nordsee.
â Ich war da Zimmermädchen, verstehst du, in St. Peter Ording einen
Sommer lang Betten gemacht, was meinst du, warum ich das im Schlaf kann, und da
gab es noch keine Spannbettlaken, o nein.
Die Jungs auf dem Zeltplatz, abends standen sie vor dem Hotel, bis
du frei
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