Chronik der Nähe
kriegerisch.
Hab ich doch wieder versucht, etwas Grünes einzuschmuggeln. Ein
Baumwolltuch, ein hellgrünes Portemonnaie, ein altes grünes Jackett vom
Flohmarkt, mein Lieblingsstück drei Tage lang, bis ich dich besuchte. Tür auf,
dein Blick raste einmal an mir herunter und wieder herauf, die Augen verengten
sich. Das Jackett kam in den Schrank ganz hinten, dann in die
Altkleidersammlung, weiÃe Rotkreuzplastiksäcke am StraÃenrand, kleine pralle
Restbomben.
In der Schule ein Wettbewerb: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer
hat den besten Vater im Land. Wir lagen Kopf an Kopf, die Väter schnitten
ordentlich ab. Sie taten, was sie tun mussten, verdienten das Geld, spielten
abends mit uns Federball, wuschen samstags die Wagen und holten die
Sprudelkisten vom Getränkemarkt. Papa konnte gut mithalten, auch wenn er den
Wagen selten wusch, schlieÃlich gibt es Waschanlagen. Dann: Spieglein,
Spieglein an der Wand, wer hat die schönste Mutter im Land. Ich bot mit, ich
hatte zu bieten: eine Mutter, die nicht auf den Kopf gefallen ist, die selbst
Geld verdient, die herumgekommen ist, die in Paris war, die viele Sprachen
spricht, die in Griechenland nackt geschwommen ist, die Zehnfinger blind
schreiben kann, die Steno gelernt hat. Steno: kennt das noch jemand. Schwerer
als Chinesisch ist das.
Die sich durchgekämpft hat allein mit ihrer Mutter, die keine Lust
hat, immer zu kochen, aber das sage ich natürlich nicht, die nie Kuchen backt,
sondern lieber auftaut, sage ich auch nicht, die, wenn sie ein Essen auftaut,
noch ein paar Salzkörner, einen Schuss Sahne und ein Stäubchen Petersilie
darübergibt und dann stolz ist, alles selbst verfeinert, und auf jeden Fall
gelobt werden will, sage ich auch nicht, warum nicht einfach: Ich habe
gearbeitet, den ganzen Morgen übersetzt, ich taue was auf, nein. Selbst
verfeinert mit viel Liebe.
Spieglein, Spieglein, da fielst du durch.
Alle kannten alle Mütter, gerade war Klassenfest gewesen, mit
Eltern, die Mütter wurden in Augenschein genommen, und meine fiel durch, weil
zu wenig Schmuck.
â Macht einfach nichts aus sich.
â Einen langen Hals hat die, komisch ganz ohne Kette.
â Sieht fast aus wie ein Mann.
Das war zu viel, das war gegen deine Ehre, gegen meine Ehre, und ich
schlug zu. Noch nie gemacht: geschubst schon, gekratzt auch, geschimpft,
getreten ja. Aber nicht geschlagen. Es ging gut. Ich schlug mich für dich, nur
dass du nicht dabei warst, umso härter schlug ich und landete gleich unten,
groÃes Geschrei.
â Festhalten, die dreht durch.
Handgelenke an den Boden gepresst wie im Tatort .
â Die ist ja gefährlich mit ihrer Männermama, drück mal runter, lass
sie nicht wieder hochkommen.
Wie eine Löwin für ihr Junges. Der Wettbewerb war zu Ende. Nicht,
dass ich, dass du gewonnen hättest, das nicht gerade. Die anderen Mütter, die
mit gezupften Augenbrauen, rasierten Achselhöhlen, toupierten Frisuren und
gutem Parfum antraten, die hatten schon gewonnen.
Die waren vielleicht schöner, toller, teurer und duftender, es war
ja nicht so, dass wir zu wenig Geld hatten, du wolltest es nur für andere Dinge
ausgeben. Wer was im Kopf hat, muss sich nicht anmalen, habe ich gelernt, klug
muss man schon sein, ein Blick hinter die Fassade zeigt alles, man kann ja
zupinseln, überdecken, überkleistern, aber worauf kommt es denn wirklich an,
hm.
â Aber Grün steht dir so gar nicht.
Freitag
Freitags Fisch am Mittagstisch, wenn es geht. Selten
genug. Annie stört mit Fragen den Freitagsfisch.
Nein, sie können nicht alle Bilder des Vaters aufbewahren, es ist
kein Platz in der Wohnung, viele sind sowieso woanders gelagert, wer weiÃ, ob
sie alles heil überstanden haben, nein, Mutter weià nicht genau, wo.
Und nein, sie können nicht hingehen und nachschauen, sie haben ja
keine Adresse und auÃerdem genug um die Ohren, und nein, Annie kann nicht
allein herumlaufen und die Bilder des Vaters suchen, wozu denn auch, die werden
sich schon wieder einfinden, wenn die Zeiten besser sind.
Und nein, sie können das Bild von den Kopfweiden im Frühjahr nicht
über den Esstisch hängen, es ist zu düster und würde die Stimmung beim
Mittagstisch verdunkeln, das muss Annie verstehen, später, wenn sie mehr Platz
und eine gröÃere Wohnung und mehr Zeit haben, können sie die Bilder des Vaters
suchen und so viele aufhängen, wie Annie will.
Und
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