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Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen

Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen

Titel: Chronik der Silberelfen Bd. 1 - Zeit der Rebellen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gillian Philip
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Beispiel, dass die Wachen ihre Blase immer an derselben Stelle entleerten.
    Die abgelöste Wache hatte sich mittlerweile verabschiedet und war ins Bet t – ins eigene oder in ein fremde s – gegangen. Ich lag eine halbe Ewigkeit nur wenige Meter von dem Nachtwächter entfernt, ohne dass er mich bemerkte. Was zum Teil sicher an meinen Tarnfertigkeiten lag, zum größten Teil aber doch am Schleier. Kate musste verrückt sein, ihn zerstören zu wollen.
    Ich wartete, bis der Mann sein nicht enden wollendes Geschäft verrichtet, sich wieder hingesetzt und gegen die Wand gelehnt hatte. Zuvor hatte er beim Pinkeln glucksend ein paar Unflätigkeiten und derbe Scherze von sich gegeben. Der Whisky machte seine Augenlider schwer, seine Blase war wohltuend leer und sein Kopf sackte von Zeit zu Zeit nach vorn. Aber er schien doch mehr Ehrfurcht vor dem Priester und den Folterknechten zu haben, als ich gedacht hatte. Er gab sich nämlich alle Mühe, wach zu bleiben, stand immer wieder auf, lief ein paar Schritte, stampfte mit den Füßen auf.
    Ich wusste, dass er irgendwann einschlafen würde. Aber meine Geduld und meine Vorsicht waren allmählich erschöpft. Leise robbte ich zu ihm hinüber. Einen einzigen Schlag, mehr brauchte es nicht, aber natürlich einen gezielten aufs Rückgrat oder auf den Schädel. Ich überlegte kurz, ihm seinen Dolch zu entwenden, aber das wäre zu riskant gewesen, zu eigennützig. Wenn man ihn so fände, würden die Wachen sofort Alarm schlagen. Stattdessen überrumpelte ich ihn auf die denkbar einfachste Weise, mit einem alten Trick aus Kindertagen: Ich warf einen Stein, der ganz in seiner Nähe zu Boden fiel. Als er sich nach dem Geräusch umdrehte, hechtete ich zu ihm, packte seinen Hals und drückte zu, bis er das Bewusstsein verlor. Nicht einmal zwei Sekunden dauerte das Ganze, er wehrte sich nicht im Geringsten. Wahrscheinlich hatte er nicht einmal mitbekommen, welches Schicksal ihn soeben ereilt hatte. Wenn er wieder zu sich kam, würde er den Tiefschlaf vermutlich auf seine Übermüdung und die langen Wachschichten schieben. Er kann froh sein, dass er überhaupt wieder wach wird, dachte ich.
    Ich musste nicht einmal das wuchernde Gras platt drücken, das hatten die Wachen schon für mich erledigt. Ein winzig kleines, schmales Gitter war am Boden in die Mauer eingelassen. Ich legte mich flach auf die Erde, mit dem Gesicht direkt davor. Es stank nach Urin, sowohl nach abgestandenem als auch nach der frischen Ladung des Nachtwächters. Aber hinter dem beißenden Geruch bemerkte ich noch einen anderen, fauligeren Gestank. Normalerweise habe ich Augen wie eine Katze, aber nicht einmal ich konnte in dem schwarzen Loch hinter dem Gitter etwas erkennen.
    Er war da. Ich schloss die Augen und spürte mein Herz rasen, vor Aufregung und Erleichterung, Mitleid und Schmerz. Sein Geist war immer noch genauso verschlossen wie dieses Verlies. Ich wollte etwas sagen, aber meine Kehle war wie zugeschnürt und angefüllt von heruntergeschluckten Tränen. Ich brachte kein Wort heraus. Als ich meine Stirn gegen das rostige Eisengitter drückte, hörte ich ihn.
    Er sprach sehr leise, aber mein Gehör ist ebenso gut wie meine Augen. Ich wusste sofort, dass er nicht mit mir sprach, er hatte nämlich keine Ahnung, dass ich da war. Ich fluchte im Geiste vor mich hin, stieß stumm die schlimmsten Verwünschungen hervor, die mir in den Sinn kamen. Er war nicht allein.
    „Hör mir zu.“ Seine Stimme war tonlos und rau. Er brauchte Wasser. „Du musst gestehen.“
    „Auf keinen Fall!“
    Das Blut gefror mir in den Adern. Es war die Stimme eines Mädchens, unnatürlich hoch und schrill vor lauter Angst und Schmerz.
    „Du musst!“
    „Du bist einer von ihnen!“ Sie spuckte ihn an, aber in ihrer Stimme schwang hörbar Furcht mit. „Du gehörst zu den Wachen, du gehörst zu dem Priester.“
    „Nein“, sagte er.
    „Ich werde nicht gestehen, ich bin unschuldig!“
    „Das ist egal, das bin ich auch.“ Lang herrschte Stille in der Dunkelheit. „Ich bin ebenso unschuldig wie du, und ich habe auch gestanden. Und du wirst das auch tun. Sehr bald.“
    Ich hörte ihren rasselnden, aufgeregten Atem, als sie über seine Worte nachdachte. Dann zischte sie: „Du bist einer ihrer Handlanger. Ich kenne diese Leute, ich kenne ihre Tricks.“
    „Morgen Früh“, sagte er mit kratziger Stimme, in der trotzdem ein Hauch von Belustigung mitschwang, „wird mit dem Morgenurin der Wachen ein Lichtstrahl dort oben durch das Gitter

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