Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
murmelte er peinlich berührt.
Seinen finsteren Blicken nach zu schließen, schien der Grauhaarige ihm zuzustimmen, doch Corinna winkte nur ärgerlich ab. »Wenn es Euer schlechtes Gewissen beruhigt, Signore Delãny«, sagte sie spöttisch, »er bekommt einen neuen Mantel von mir. Ihr müsst mit einem gebrauchten vorliebnehmen. Ihr seht also, er macht das eindeutig bessere Geschäft.«
Zögernd nahm Andrej das Kleidungsstück entgegen und stellte dabei fest, dass es nicht nur von ausgezeichneter Qualität, sondern auch erfreulich warm war, sodass er vielleicht zum ersten Mal seit Wochen nicht mehr frieren würde, sobald er das Haus verließ. Er legte es aber nicht an, sondern machte eine Kopfbewegung auf das Schwert an der Hüfte seines Gegenübers. »Brauchst du vielleicht auch noch eine neue Waffe, mein Freund?«, fragte er.
Er las die Antwort auf seine Frage ganz deutlich in den Augen des Mannes, und auch Corinna wirkte sehr überrascht, umso mehr, als Andrej, ohne zu zögern, seinen Gürtel wieder abschnallte und mit dem des Grauhaarigen tauschte. Auf den ersten Blick schien er ein schlechtes Geschäft gemacht zu haben, denn das schlanke Rapier, mit dem er bewaffnet war, war aufwendig gearbeitet und hatte einen Griff und eine Parierstange’, mit der ein talentierter Kunstschmied vermutlich sein Meisterstück abgelegt hatte, während die Waffe des Grauhaarigen einfach nur ein plumpes Schwert ohne überflüssigen Zierrat war, nicht einmal so lang wie sein Unterarm und mit einem runden Knauf, der sonderbar deplatziert wirkte. Aber es war eine Waffe, kein Spielzeug, und Andrej las in den Augen des anderen, dass er ihn für den Tausch hasste.
»Keine Sorge, mein Freund«, sagte er. »Du bekommst es zurück.«
Der Mann gab ihm keine Antwort. Er schnallte sich den Gurt nicht um, sondern gab sich redliche Mühe, ihn in der Faust zu zerdrücken, und fragte dann: »Braucht Ihr vielleicht noch neue Schuhe, Signore?«
Andrej tat ihm den Gefallen, sein Schuhwerk scheinbar nachdenklich zu mustern, und schüttelte dann den Kopf. »Ich fürchte, sie würden mir nicht passen. Aber vielen Dank für das Angebot.«
Bevor der andere antworten und das Gespräch vollends albern werden konnte (oder auch gefährlich), löste Corinna den Moment mit einer Geste auf, die Andrej endgültig klarmachte, wie sehr sie es gewohnt war, in diesem Haus zu befehlen – und ganz und gar nicht, dass diese Befehle nicht befolgt wurden. »Gehen wir zu meinem Vater«, sagte sie. An den Grauhaarigen gewandt, fügte sie hinzu: »Er erwartet uns.«
Dessen Blick machte deutlich, wie wenig er diesen Worten glaubte, aber er widersprach nicht, sondern trat nur mit einem angedeuteten Nicken zur Seite, sodass sie ihren Weg fortsetzen konnten, die breite Treppe hinunter und durch die sonnendurchflutete Halle, bis sie vor einer riesigen Tür anhielten. Derselbe gebrechliche alte Diener, der ihnen schon oben aufgemacht hatte, hielt davor Wache und machte auch keine Anstalten, den Weg freizugeben, bis Corinna einige geflüsterte Worte mit ihm getauscht hatte. Und auch dann maß er Andrej zuerst mit einem sehr langen und skeptischen Blick, bevor er sich umwandte und die Tür mit solcher Mühe öffnete, dass Andrej die Hand hob, um ihm zu helfen.
Corinna schüttelte hastig den Kopf. »Nicht«, sagte sie leise.
»Das ist so ziemlich alles, wozu er noch gut ist. Du willst ihm doch nicht seinen Lebensinhalt nehmen?«
Gehorsam lächelte Andrej flüchtig, doch ihre Worte irritierten ihn. Sie sollten nach gutmütigem Spott klingen und waren es auch, und dennoch erschrak er über die unterschwellige Verachtung, die er darin zu hören glaubte – und fast im gleichen Augenblick über sich selbst. Es war das zweite Mal binnen kurzer Zeit, dass er wider Willen schlecht über Corinna dachte. Sie war kein Engel, das wusste er. Sie war nicht unfehlbar. Aber bisher hatte er sie einfach so sehen wollen. Hatte allein der Umstand, dass sie sein Geheimnis entdeckt hatte, den Zauber schon zerstört?
Seine Gedanken mussten sich wohl deutlicher auf seinem Gesicht widerspiegeln, als ihm klar war, denn Corinna sah ihn mit verändertem Blick an und fragte sehr ernst: »Habe ich etwas gesagt, das dich verletzt hat?«
Andrej schüttelte rasch den Kopf und war beinahe erleichtert, als der greise Diener zurückkam und ihnen mit einer wortlosen Geste bedeutete einzutreten. Corinna bedankte sich mit einem Lächeln, das warm genug war, um Andrej seinen Gedanken von eben bedauern zu
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