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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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lassen, ging an ihm vorbei und flüsterte: »Überlass mir das Reden, Andrej.«
    Spätestens seit sie den Palazzo betreten hatten, schien das sowieso außer Frage zu stehen, und Corinna gab ihm auch jetzt keine Gelegenheit zu widersprechen. Kaum hatten sie die Tür durchschritten, wurde sie schneller, sodass er ein Stück zurückfiel und erst einmal damit beschäftigt war, wieder zu ihr aufzuholen. Hinter ihm fiel die gewaltige Tür dumpf ins Schloss, aber er hörte auch schlurfende Schritte und ein leises, rasselndes Atmen. Der greise Diener kam ihnen nach.
    Während er sich bemühte, Corinna einzuholen, ohne wirklich zu rennen, sah er sich unauffällig um und stellte fest, dass der Raum eine schon beinahe perfekte Kopie dessen war, in dem er die letzte Stunde verbracht hatte, bis hin zu den kostbaren Möbeln und den großen, kunstvoll gestalteten Bleiglasfenstern. Die Bilder an den Wänden zeigten andere Motive, und es gab kein Puppenhaus, doch damit waren die Unterschiede auch schon beinahe erschöpft. Andrej fragte sich, warum das so war – hatte Corinna versucht, etwas nachzuahmen, oder wollte sie etwas ersetzen, das dennoch unwiederbringlich verloren war?
    Es gab noch einen Unterschied: Vor dem riesigen Kamin, in dem auch hier ein gewaltiges Feuer prasselte, stand ein gewaltiger Ohrensessel mit goldenen Verzierungen, in dem ein weißhaariger Mann saß, den er von dem Bild oben in Corinnas Zimmer her kannte.
    Nur dass er aussah, als wäre er um mindestens hundert Jahre gealtert.
    »Andrej, das ist mein Vater«, erklärte Corinna überflüssigerweise. Theatralisch deutete sie auf Andrej. »Vater, das ist Andrej Delãny, von dem ich dir erzählt habe.«
    Andrej horchte auf. Hatte sie nicht gerade erst erzählt, welche Mühe ihre beiden grimmigen Begleiter damit gehabt hatten, sich ständig neue Ausreden für ihre tage- und nächtelange Abwesenheit einfallen zu lassen?
    Der weißhaarige Alte deutete ein Nicken an, das man für Überheblichkeit hätte halten können, das in Wahrheit aber wohl einfach nur ein Zeichen seiner Schwäche war. Selbst diese Bewegung schien ihm Mühe zu bereiten.
    Andrej war verwirrt und auch erschrocken. Das Bild in Corinnas Zimmer hatte einen Mann von allerhöchstem vierzig Jahren gezeigt, einen sehr harten und sicher alles andere als sympathischen Mann, der aber vor Lebenskraft und Energie strotzte. Und doch zeigte es eindeutig denselben Mann, dem er nun gegenüberstand – es war sogar derselbe Sessel, in dem er saß.
    Andrej erinnerte sich nicht, jemals einen älteren Menschen gesehen zu haben. Sein Haar war schlohweiß und trotz allem noch voll, doch es hing ihm in ungepflegten Strähnen ins Gesicht und bis weit über die Schultern hinab. Auch seine Augenbrauen und der ungeschickt gestutzte Backenbart waren von derselben Farbe. Seine Augen waren trüb, aber nicht auf eine Art, als könnten sie die Welt ringsum nicht mehr richtig erkennen, sondern als wüssten sie nichts mehr mit ihr anzufangen. Die Lippen waren schmal und ausgetrocknet und das ganze Gesicht eine Landschaft aus Runzeln und Falten, manche davon so tief, als wären sie mit einem Messer hineingeschnitten. Die kostbaren Kleider, die der Mann trug, hingen um seine ausgemergelte Gestalt, und seine Hände, deren Fingernägel schmutzig und seit wohl einem halben Jahr nicht mehr geschnitten worden waren, erinnerten an die Klauen eines Greifvogels. Der Anblick schnürte ihm die Kehle zu, zumal er nun wusste, wie dieser Mann noch vor wenigen Jahren ausgesehen hatte. Vielleicht sogar vor wenigen Monaten.
    »Was ist ihm zugestoßen?«, fragte er erschrocken.
    Corinna warf ihm einen mahnenden Blick zu, zwang ein – fast – überzeugendes Lächeln auf ihr Gesicht und wandte sich wieder an ihren Vater. »Du erinnerst dich doch an Signore Delãny? Wir haben ihn letzten Monat kennengelernt, auf dem Empfang des Conte Mezzara.«
    Die trüben Augen sahen zu ihm hoch, durch ihn hindurch, und die gesprungenen Lippen formten lautlose Worte in einer Sprache, die nur er allein verstand.
    »Signore.« Als Andrej eine knappe Verbeugung machte, versuchte der Blick der erloschenen Augen vergeblich, dieser kleinen Bewegung zu folgen.
    »Conte Delãny«, murmelte er. »Ja, ich erinnere mich. Es war ein schönes Fest. Habt Ihr meine Tochter schon kennengelernt? Sie und ihr Bruder sind unser ganzer Stolz.«
    »Eure Tochter ist wunderschön, Signore«, sagte Andrej. »Ich fühle mich geehrt, sie kennenlernen zu dürfen.«
    So etwas wie ein Lächeln

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