Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
die Dunkelheit. Abu Dun war nahe. Viel näher, als er geglaubt hatte.
»Rede mit mir, Pirat! Was willst du?« Er bekam auch jetzt keine Antwort.
Als er erneut eine Bewegung wahrnahm, ließ Andrej auch den letzten Rest Rücksicht fahren und stürmte einfach los, darauf hoffend, dass Abu Duns Sinne ebenso verwirrt waren wie seine.
Ohne seine Schritte zu zählen, verließ er sich ganz auf seine Instinkte, damit sie ihn zurück zum Ausgangspunkt dieser unheimlichen Odyssee führten. Ein halbes Dutzend Mal prallte er trotz aller Vorsicht gegen unsichtbare Hindernisse, und einmal verlor seine tastende Hand den Kontakt zu dem nassen Mauerwerk, was eine kurze, aber ungemein heftige Panikattacke zur Folge hatte. Aber das, was er von seinem unsichtbaren Verfolger vernahm, verriet ihm, dass es diesem nicht besser erging. Einmal stürzte Abu Dun, und ein anderes Mal stieß er so hart gegen eine Säule, dass sie erzitterte.
Andrej versuchte trotzdem, noch schneller zu laufen. Als er jedoch auf dieselbe Weise belohnt wurde wie ihr Verfolger, setzte er seinen Weg wieder etwas langsamer fort.
Und das Wunder geschah: Irgendwann spürte er einfach, dass sie auf dem richtigen Weg waren, wandte sich instinktiv nach rechts und stolperte über die unterste Stufe einer steinernen Treppe, die in der Dunkelheit verborgen lauerte. Er fiel, rollte sich blitzschnell wieder auf die Füße und versetzte Corinna einen Stoß, der sie halbwegs die unsichtbare Treppe hinaufstolpern ließ. »Lauf!«, schrie er. »Ich halte ihn auf!« Wohin auch immer sie laufen sollte. Vielleicht gab es dort oben keine Tür, oder sie war verschlossen, oder irgendein Schlaumeier hatte sein Haus darauf gebaut. Aber ihm blieb keine Wahl.
Während Corinna die Treppe hinaufhastete, ging er in eine halb geduckte Abwehrhaltung und versuchte, sich auf die Flutwelle aus Geräuschen zu konzentrieren, die aus allen Richtungen zugleich auf ihn zurollte. Nichts davon ergab Sinn. Abu Dun war ganz nahe, nur noch wenige Schritte entfernt, aber er konnte einfach nicht sagen, wo. Oder ob er vielleicht sogar mehrmals da war.
Es war kein Geräusch, das ihn warnte, sondern nur eine Ahnung, das pure Wissen um Gefahr. Sein Arm bewegte sich fast ohne sein Zutun nach oben und zur Seite, und irgendetwas stieß mit solcher Urgewalt gegen die hochgerissene Klinge, dass er unter der Macht des Hiebes zurückstolperte und auf die Treppe fiel. Funken stoben, als Abu Duns monströser Krummsäbel zum zweiten Mal und mit noch größerer Gewalt gegen seine Klinge schlug, und diesmal vibrierte ein lähmender Schmerz bis in seine Schulter hinauf.
Andrej warf sich zur Seite, trat nach hinten aus und traf etwas, das mit einem wütenden Grunzen reagierte. Funken und Steinsplitter flogen, als die Klinge kaum eine Handbreit neben seinem Gesicht auf den Stufen aufschlug. Abu Dun meinte es ernst, begriff er entsetzt. Es ging ihm nicht darum, ihn auszuschalten, er wollte ihn töten, und das endgültig. Andrej rollte weiter herum, trat noch in der Bewegung ein zweites Mal aus und traf diesmal so hart, dass Abu Dun zwei oder drei Schritte zurückstolperte und mit rudernden Armen um sein Gleichgewicht kämpfte. Erst da fiel Andrej auf, dass er ihn sehen konnte. Irgendwoher kam plötzlich Licht.
Er beschloss, sich auch darüber später zu wundern und lieber dafür zu sorgen, dass er es auch noch konnte, und nutzte seinen winzigen Vorteil, indem er aufsprang und dem Nubier mit aller Gewalt die Schulter gegen die Brust rammte. Abu Dun stolperte zurück und wäre gestürzt, wäre er nicht gegen eine der steinernen Säulen geprallt. Morast und nasses Holz regneten von der Decke, und Andrej versetzte ihm einen Hieb mit der flachen Klinge gegen den Schädel, der ihm zwar nicht das Bewusstsein raubte, ihn aber endgültig in die Knie brechen ließ.
Mehr brauchte er nicht. Andrej fuhr auf dem Absatz herum und sah, dass Corinna die Klappe am oberen Ende der Treppe nur halb aufgestemmt hatte. Irgendetwas schien sie zu blockieren, oder sie war einfach zu schwer für das zierliche Mädchen, das deutlich weniger als hundert Pfund wog. Mit zwei, drei gewaltigen Sätzen war er bei ihr, stieß die Schulter gegen die störrische Klappe und wäre um ein Haar rücklings die Treppe hinuntergestürzt, als sie zwar mit einem Geräusch wie ein Peitschenknall der Länge nach riss, dennoch aber störrisch an ihrem Platz blieb.
Er versuchte es noch einmal und mit noch mehr Kraft und sprengte die Klappe diesmal einfach in Stücke. In
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