Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod
Symmetrie zu arrangieren. »Das ist schön, nicht?«, fragte er unvermittelt.
»Was?«
»Dieses Glas. Eine wundervolle Arbeit. Wusstet Ihr, dass es hier aus der Stadt kommt?«
Das hatte Andrej weder gewusst, noch interessierte es ihn. Er fragte sich, worauf der Signori hinauswollte. Gewiss hatte er ihn nicht kommen lassen, um ein Schwätzchen zu halten.
»Venedigs Glasbläserkunst ist in der ganzen Welt berühmt«, fuhr Rezzori fort. »Und das ist nur eines von vielen Dingen, die diese Stadt so einzigartig machen. Es ist meine Heimatstadt. Ich liebe sie. Liebt Ihr Eure Heimatstadt auch, Signore Delãny? Oder habt Ihr gar keine?«
»Nicht mehr«, räumte Andrej ein.
»Ihr und Euer Freund kommt viel herum, nehme ich an. So eine Art …«, er tat so, als müsse er angestrengt nach dem richtigen Wort suchen, »… Weltenbummler.«
»Habt Ihr mich herbringen lassen, um Euch Geschichten von meinen Reisen anzuhören?«, fragte Andrej.
»Was zweifellos interessant wäre«, gab Rezzori mit einem schmalen Lächeln zurück. Er trank nun doch einen – winzigen – Schluck Wein und drehte das Glas weiter, nachdem er es auf den Tisch zurückgestellt hatte. Erst dann beantwortete er Andrejs Frage. »Nein, Signore Delãny. Ich habe Euch hergebeten, um mit Euch über meine Stadt zu reden.«
»Hergebeten?« Andrej hob die gefesselten Hände, sodass die eiserne Kette klirrte. Rezzori ignorierte den Einwurf.
»Bleiben wir bei diesem Beispiel herausragender Handwerkskunst oder auch dem köstlichen Wein, den es enthält«, fuhr er unbeeindruckt fort. »Ich könnte Euch Hunderte solcher Beispiele nennen, wenn nicht Tausende. Ich bin in Venedig geboren und aufgewachsen, und ich liebe diese Stadt. Sie hat mir viel gegeben, und ich betrachte es als meine Pflicht, sie zu beschützen. Das ist meine Aufgabe, und ich nehme sie sehr ernst.«
»Ja, das habe ich gehört«, sagte Andrej.
»Ich weiß, was man über mich und meine Männer erzählt«, gab Rezzori ungerührt zurück. »Vielleicht ist manches davon … ein wenig übertrieben.«
»Und manches wahr?«
»Manchmal muss man schlimme Dinge tun, um noch schlimmere Dinge zu verhindern«, sagte Rezzori gelassen. »Ich weiß, dass mich manche in dieser Stadt hassen und dass viele mich und meine Signori fürchten. Sie verstehen nicht, dass das der Preis ist, den sie für ihre Freiheit zahlen müssen.«
»Angst?«, fragte Andrej.
»Wer nichts Übles gegen diese Stadt und ihre Bewohner im Schilde führt, der hat auch keinen Grund, uns zu fürchten. Plant Ihr etwas Übles gegen meine Stadt, Signore Delãny? Seid Ihr und Eure Freunde hergekommen, um sie zu zerstören?« Endlich waren sie beim Thema.
»Nein«, sagte Andrej ruhig.
»Warum habe ich dann den Eindruck, dass Ihr alles in Eurer Macht Stehende tut, um genau das zu erreichen?«
Andrej schluckte die Erwiderung hinunter, die ihm dazu auf der Zunge lag. »Weil es Eure Aufgabe ist, so zu denken?«, fragte er stattdessen.
»Zweifellos«, gestand Rezzori. Er seufzte. »Ich weiß nicht, was ich mit Euch anfangen soll, Signore Delãny. Etwas sagt mir, dass Ihr ein aufrechter Mann seid. Aber dasselbe Etwas sagt mir, dass ich Euch nicht trauen darf. Was ist nun wahr – oder, präziser gefragt: Was seid Ihr, Andrej Delãny?«
Was. Nicht: Wer. »Nichts, was Ihr fürchten müsstet«, antwortete Andrej. »Aber Ihr solltet mich gehen lassen.«
Rezzori lachte humorlos. »Wenn ich immer das täte, was ich eigentlich sollte, Delãny, dann wärt Ihr jetzt schon tot, meint Ihr nicht auch?«
»Wollt Ihr mich denn wirklich tot sehen?«
»Kann man Euch denn töten?«, hakte Rezzori nach, brachte ihn aber mit einer Geste zum Schweigen, noch bevor er antworten konnte. »So könnten wir jetzt vermutlich noch Stunden weitermachen, und lägen die Dinge anders und die Zeit würde nicht so drängen, dann würde ich es zweifellos genießen. Ich weiß ein gutes Streitgespräch zu schätzen. Leider bleibt uns keine Zeit für dieses Vergnügen. Also nennt mir einen einzigen Grund, aus dem ich Euch nicht auf der Stelle hinrichten lassen sollte.«
»Weil es nicht nötig ist«, antwortete Andrej. »Ich bin nicht Euer Feind und schon gar nicht der Eurer Stadt oder ihrer Menschen.«
»Und Euer Freund, der Muselmane?«
»Er hat einen Namen.«
»Abu Dun, ich weiß.« Rezzori seufzte erneut und dieses Mal wie ein Mann, der darum bemüht ist, eine Fassung zu bewahren, nach der ihm ganz und gar nicht mehr zumute ist. »Ist er unser Feind?«
Also war Abu Dun
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