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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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Haltung aufgeben.
    Schwester Innozenz würdigte den Nubier nicht einmal einer Antwort, aber der Blick, mit dem sie Corinna streifte, war vorwurfsvoll.
    »Das ist alles, was ich Euch sagen kann«, beharrte sie. »Ich bin mir keiner Verfehlung bewusst, Gott ist mein Zeuge. Und wenn Euch das nicht genügt, könnt Ihr gerne mit dem Dottore selbst reden.«
    »Das wollten wir ohnehin«, brummte Abu Dun.
    »Ich bin überzeugt, dass Ihr und Eure Schwestern allen Euren Pflichten nachgekommen seid«, sagte Andrej rasch. »Ich weiß um die Krankheit meines Sohnes und auch, dass sie die Ärzte vor ein Rätsel stellt. Ich war nur überrascht, dass es so schnell ging. Ich dachte, uns bliebe noch etwas mehr Zeit.«
    Schwester Innozenz setzte zu einer geharnischten Antwort an, und wieder war es Corinna, die schlichtend eingriff. »Habt ein wenig Nachsicht mit Andrej«, sagte sie rasch. »Welchen Vater würde es nicht berühren, seinen Sohn so zu sehen. Wenn er ein wenig zur Ruhe gekommen ist, wird er verstehen, dass er hier in guten Händen ist.«
    »Er ist in Gottes Händen«, antwortete Innozenz verteidigend. Und selbstverständlich ließ es sich Abu Dun nicht nehmen, in abfälligem Ton zu erwidern: »Wenn Euer Gott von der Existenz dieses Jungen wüsste, würde er persönlich von seiner Wolke heruntersteigen und die Sache erledigen, Schwester.«
    »Unser Gott, schwarzer Mann?«, gab Innozenz spitz zurück. »Und ich dachte bisher immer, wir haben denselben Gott.«
    Andrej verdrehte seufzend die Augen und trat rasch zwischen die beiden so ungleichen Kampfhähne, bevor der eine dem anderen an die Kehle ging oder sie sich gegenseitig die Augen auskratzten – wobei er sich fragte, wer von beiden wohl den ersten Schritt machen würde.
    »Bitte«, sagte er, gleichermaßen an sie beide gewandt. »Nicht hier.«
    Die Ordensschwester wandte sich in ihrem heiligen Zorn nun ihm zu, da ergriff Corinna das Wort. »Andrej hat recht, Schwester Innozenz«, sagte sie sanft, aber auch auf eine Art, die keinen Widerspruch zuließ, vielleicht gerade weil so rein gar nichts Befehlendes in ihrer Stimme war. »Der Junge hat schon genug Leid erdulden müssen. Lasst uns draußen weiterreden. Und du, schwarzer Mann«, wandte sie sich in schärferem Ton an Abu Dun, »solltest dich schämen! Such dir einen Gegner in deiner Größe, wenn dir nach Streiten zumute ist.«
    »Ich dachte, das hätte ich«, sagte Abu Dun.
    Corinna rollte in gespieltem Entsetzen die Augen und war zu Andrejs Erleichterung klug genug, den albernen Disput nicht fortzusetzen. Stattdessen bedachte sie den Nubier mit einem strafenden (und Schwester Innozenz mit einem fast flehenden) Blick und drehte sich dann zu Marius um. Sie versuchte nicht noch einmal, ihn zu berühren, aber ihr Blick wurde weich, und wieder glaubte Andrej in ihren Augen eine Anteilnahme und Trauer zu lesen, die ihm unangemessen schien, ja, sogar so etwas wie einen Stich absurder Eifersucht in ihm auslöste.
    »Er ist … sehr schön«, sagte Corinna. »War seine Mutter auch so schön?«
    »Nicht so schön wie du«, hörte sich Andrej antworten; mit einer Stimme, die nicht ihm gehörte. Die Wahrheit war: Er wusste es nicht mehr. Wie beinahe jeder, den er gekannt und geliebt hatte, war auch Marius’ Mutter tot, und das seit so langer Zeit, dass er nicht nur ihr Gesicht vergessen hatte, sondern auch beinahe ihren Namen. Das war erschreckend.
    »Ihr schmeichelt mir, Herr«, sagte Corinna, ohne den Blick von dem Jungen zu lösen. In die Trauer und das Mitgefühl mischte sich nun etwas anderes, etwas, das er für Neugier hätte halten können.
    »Die Signorina hat recht«, sagte Innozenz. »Lasst uns draußen weiterreden. Der Dottore wollte ohnehin noch mit euch sprechen, und der arme Junge braucht Ruhe.«
    Der arme Junge saß seit einem halben Jahr in diesem Loch von kaum fünf auf fünf Schritten fest, in dem Abu Dun selbst ohne seinen gewaltigen Turban Mühe hatte, aufrecht zu stehen, und in dem es so erbärmlich stank, dass er Mühe hatte zu atmen, dachte Andrej bitter, und vermutlich bekam er nichts von dem mit, was rings um ihn herum vorging oder mit ihm geschah. Aber er bekundete der Ordensschwester trotzdem mit einem wortlosen Nicken seine Zustimmung, denn plötzlich ertrug er den Anblick dieses leeren Gesichts und der erloschenen Augen nicht mehr.
    Warum hast du mir das angetan, Vater?
    »Ganz wir Ihr meint, Schwester«, sagte er. Seine Stimme war noch immer rau, und er hatte das Gefühl, sich zu jedem einzelnen

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