Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Selbst neben der kleinwüchsigen Innozenz wirkte sie noch fast zierlich. Andrej wusste, in welches Gesicht er blicken würde, noch bevor sie die Arme hob, um mit einer anmutigen Geste die Kapuze zurückzuschlagen. Auch Schwester Innozenz schien nicht im Mindesten überrascht.
    Was Andrej umso mehr überraschte. Er kannte die Ordensschwester nicht, aber allein ihr bisheriges Verhalten (und gewisse Vorurteile, die auf schlechten Erfahrungen beruhten) hatte ihn erwarten lassen, dass Corinna, die – schmeichelhaft ausgedrückt – eine Person zweifelhafter Reputation war, ihre Missbilligung finden musste.
    Doch Innozenz wirkte nicht nur erfreut, Andrej hatte für einen winzigen Moment das Gefühl, dass sie sich gerade noch beherrschen konnte, einen Hofknicks oder das hier geläufige Äquivalent zu machen.
    »Signorina Co …«, begann sie, doch Corinna unterbrach sie mit einer Geste, die vielleicht eine Spur zu hastig war, um nicht erschrocken zu wirken.
    »Schwester Innozenz! Ich freue mich ja so, Euch endlich einmal wiederzusehen.«
    Sie umarmte Innozenz stürmisch, löste sich dann schnell wieder von ihr und fuhr mit entschuldigender Miene fort: »Ich weiß, ich hätte mich schon viel früher einmal wieder melden müssen, und es tut mir leid. Ich bin eine unmögliche Person. Ich hoffe, Ihr könnt mir noch einmal verzeihen, wenn ich Euch Besserung gelobe.«
    »Aber ich bitte –«, begann Innozenz leicht verwirrt, und Corinna brachte sie erneut zum Schweigen, indem sie auf Andrej deutete: »Ich sehe, Ihr habt meinen guten Freund Andrej schon kennengelernt?«
    Schwester Innozenz sagte jetzt nichts mehr, aber ihr Blick sprach Bände. Anscheinend war der Wirt nicht der Einzige, der insgeheim der Meinung war, dass Corinna bei der Auswahl ihrer Freunde etwas sorgfältiger vorgehen könnte.
    Das Mädchen drängelte sich mit einiger Mühe an Abu Dun vorbei, stellte sich auf die Zehenspitzen, um Andrej einen Kuss auf die Wange zu hauchen, und drehte sich dann herum, um auf Marius hinunterzusehen. Der Junge hatte auf ihr Eintreten ebenso wenig reagiert wie auf alles andere. Er starrte einfach durch sie hindurch. Andrej las Neugier in ihrem Gesicht, aber auch sachte Verwunderung, aus der nach einem kurzen Augenblick Mitgefühl wurde, und eine Trauer, deren Ehrlichkeit und Tiefe ihn überraschten.
    »Das ist Marius?«, fragte sie.
    Andrej nickte wortlos und behielt Marius’ Gesicht aufmerksam im Auge. Auch der Klang seines Namens bewirkte keine Reaktion. Corinna ließ sich in die Hocke sinken und streckte die Hand aus, wie um sein Gesicht zu berühren.
    »Nicht!« Andrej hielt ihre Hand so eilig fest, dass er ihr wehtat, denn ihre Mundwinkel zuckten. Vor allem aber las er Überraschung in ihren Augen. Misstrauen flackerte auf, das aber auch sofort wieder erlosch.
    Er lockerte seinen Griff, ließ aber nicht ganz los, sondern drückte ihren Arm weiter herunter, schüttelte den Kopf und zwang sie dann mit sanfter Gewalt, nicht nur wieder aufzustehen, sondern auch einen Schritt vor Marius zurückzuweichen.
    »Andrej?«, fragte sie verwirrt.
    »Entschuldige«, sagte Andrej. »Es ist nur –« Er suchte nach Worten, fand sie nicht und rettete sich in die wohl unzureichendste Antwort, nämlich ein angedeutetes Schulterzucken. Aus Hilflosigkeit wandte er sich wieder an Schwester Innozenz.
    »Was ist meinem Sohn zugestoßen?«, fragte er. »War jemand hier und hat mit ihm gesprochen?«
    »Euer Sohn?« Andrej hätte sich am liebsten selbst auf die Zunge gebissen. Marius – selbst jetzt und auf so unheimliche Weise gealtert – war zwar deutlich jünger als er, ging aber dennoch höchstens als sein jüngerer Bruder durch und kaum als sein Sohn. Einmal ganz davon abgesehen, dass zwischen ihnen nicht die geringste äußere Ähnlichkeit bestand.
    »Ich habe früh angefangen«, sagte er kühl.
    »Und ich habe mir vielleicht den falschen Teil der Welt ausgesucht, um mich um verlorene Seelen zu kümmern«, antwortete die Ordensschwester. »Und um Eure Frage zu beantworten, Signore Delãny: Niemand war hier. Es war genau so, wie ich es gesagt habe: Er war schon so, als er zu uns gebracht wurde. Wir haben alles für ihn getan, was wir konnten. Meine Schwestern und ich haben für sein Seelenheil gebetet. Ich allein habe mehr als ein Dutzend Kerzen für ihn angezündet, und der Dottore hat ihn allein drei Mal zur Ader gelassen!«
    »Na, wenigstens habt ihr ihn damit nicht umgebracht«, knurrte Abu Dun. Andrej wünschte, er würde seine abweisende

Weitere Kostenlose Bücher