Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
Richtertisch zitiert worden war. Dieser Effekt wurde von Scalsi ganz bewusst inszeniert, das wusste er, was ihm leider nicht half, sich ihm zu entziehen. Und Abu Dun schien es ganz ähnlich zu ergehen.
    »Dieser Junge ist der Sohn eines Edelmannes«, fuhr Scalsi ruhig fort. »Er ist ausgezeichnet genährt. Er hat keine einzige Narbe, nicht den kleinsten Makel. Wenn Ihr mich fragt, dann hat er in seinem ganzen Leben noch keine Stunde gearbeitet, und trotzdem befindet sich sein Körper in perfekter Verfassung.« Er legte eine nachdenkliche Kunstpause ein. »Tatsächlich habe ich niemals jemanden gesehen, der dem Idealbild eines gesunden jungen Mannes so sehr entspricht. Stünde es in meiner Macht, einen vollkommenen Menschen zu erschaffen, so würde er vermutlich aussehen wie Euer Sohn, Andrej Delãny.«
    Andrej entging keineswegs, wie eigenartig er die Worte Euer Sohn betonte. Er fragte sich, was Scalsi wohl sagen würde, wüsste er, unter welchen Umständen er den Jungen kennengelernt hatte – ein halb verhungertes Kind voller Narben und Grind und von Krankheiten gezeichnet, das von Diebstählen und kleinen Betrügereien gelebt und oft genug streunende Katzen und Ratten gefangen hatte, um überhaupt etwas zu essen zu haben. Stattdessen jedoch fragte er nur: »Und?«
    »Umso erschreckender erscheint mir das, was seinem Geist widerfahren ist«, fuhr Scalsi fort. »Ich hatte die Hoffnung, dass Ihr mir eine Frage beantworten könnt, die mir schon seit einer Weile Kopfzerbrechen bereitet.«
    »Kopfzerbrechen«, grollte Abu Dun. »Das Wort gefällt mir.« Andrej hörte das Knacken seiner Knöchel, als er die Faust ballte.
    »Und welche wäre das?«, fragte er rasch.
    »Ob sein Zustand vielleicht der Preis ist, den man für Perfektion zahlen muss«, antwortete Scalsi. »Könnt Ihr mir sagen, was ihm zugestoßen ist?«
    Abu Dun kam Andrej zuvor. »Nein. Er war gesund, als wir ihn das letzte Mal gesehen haben.«
    Scalsi lachte abfällig. »Zweifellos … weshalb mir Eure schwarze Freundin ja auch strengste Anweisungen erteilt hat, ihn in Ketten zu legen, nicht wahr? Ihn nur in Gegenwart mindestens zweier bewaffneter Männer zu füttern und zu waschen und ihn sofort zu betäuben, sollte irgendetwas Ungewöhnliches geschehen … wobei sie sich nicht die Mühe gemacht hat, mich darüber aufzuklären, was dieses Ungewöhnliche sein könnte.«
    »Diese Anweisungen mögen Euch seltsam erscheinen«, sagte Andrej, »aber glaubt mir einfach, sie haben einen guten Grund. Der Junge ist gefährlich.«
    »Für wen?«
    »Für jeden, der ihn unterschätzt«, polterte Abu Dun. Er begann, unruhig im Raum auf und ab zu gehen, verfolgt von Scalsis misstrauischen Blicken. »Dieses harmlose Kind hat Menschen getötet, Doktor. Und es wird weitertöten, wenn es die Gelegenheit dazu bekommt. Das muss Euch genügen.«
    Andrej sah Scalsi an, wie wenig ihm das genügte. Er klaubte ein schon halb beschriebenes Blatt von einem der zahlreichen Stapel vor sich und klappte mit der anderen Hand den Deckel eines schweren silbernen Tintenfässchens auf. »Und wie wünscht Ihr nun, dass wir weiter mit Eurem Sohn verfahren, Andrej Delãny?«
    »Darüber habe ich noch nicht endgültig entschieden«, antwortete Andrej und verfluchte sich im Stillen selbst für den unsicheren Klang seiner Stimme. Was war das für eine Macht, die dieser sonderbare Mann über ihn ausübte?
    Scalsi tauchte eine Feder in das Tintenfässchen und begann einen Satz zu Ende zu schreiben, den er vielleicht schon vor Tagen unterbrochen hatte. »Unsere Übereinkunft galt für ein halbes Jahr«, sagte er, plötzlich in fast desinteressiertem Ton, »das nun beinahe verstrichen ist. Ihr müsst verstehen, wie aufwendig seine Pflege ist. Wir mussten eigens ein halbes Dutzend Männer einstellen, um ihn rund um die Uhr zu bewachen, wie es Euer Wunsch war. Innozenz und ihre Barmherzigen Schwestern haben sehr viel zusätzliche Arbeit mit ihm …«
    »Die vielen Kerzen, die sie seinetwegen anzünden müssen, nicht wahr?«, knurrte Abu Dun.
    Scalsi kritzelte unverdrossen weiter, ohne von seinem Blatt aufzusehen. »… und auch die Medizin, die ich ihm auf Anweisung Eurer Freundin hin verabreichen soll, ist sehr teuer. Es ist nicht leicht, die Zutaten zu besorgen.«
    »Aber Ihr gebt sie ihm regelmäßig?« Abu Dun war an eines der überladenen Regale getreten und nahm unschlüssig dies und das zur Hand, nur um es sofort wieder zurückzulegen. »Bitte fass nichts an!«, sagte Scalsi, ohne auch nur

Weitere Kostenlose Bücher