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Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod

Titel: Chronik der Unsterblichen - 12 - Der schwarze Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wlofgang Hohlbein
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gemacht, statt eines Kompliments. Ein unangenehmes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus.
    »Warum haben sie ihn hiergelassen«, fragte sie schließlich mit einem nachdenklichen Blick in Markts’ Gesicht, »wenn sie wirklich so sehr um sein Wohl besorgt gewesen sind, wie du es gesagt hast?«
    Andrej wusste, worauf sie hinauswollte, und er wollte nicht darüber sprechen, antwortete aber trotzdem mit einem Achselzucken. »Vielleicht hatten sie keine andere Wahl.«
    Corinna dachte nach. »Du wolltest mir erzählen, was ihm zugestoßen ist«, sagte sie schließlich. »Aber du hast es nicht getan. Oder willst du nicht« – sie sah wieder kurz zu Marius hin, und erneut fiel Andrej die schon fast gespenstische Ähnlichkeit zwischen Corinna und ihm auf- »hier darüber reden?«
    Beinahe hätte er ganz automatisch den Kopf geschüttelt, aber dann drehte er sich nur herum und sah seinen Sohn an. Dass er puppengleich dasaß und auf nichts reagierte, was um ihn herum geschah, hieß nicht, dass er auch nichts hörte … Vielleicht ließ ihn das Ungeheuer, das seine Träume tyrannisierte, ja in Ruhe, wenn er sich ihm endlich stellte. Und wo wäre ein besserer Ort dafür als hier?
    »Es ist lange her«, sagte er. »Sehr lange.«
    »Als er noch ein Kind war«, vermutete Corinna. Andrej nickte, und Corinna legte erneut ihre Hand auf seine. Diesmal ließ er die Berührung nicht nur zu, sondern genoss sie, spendete sie ihm doch Trost.
    »Es waren schlimme Zeiten damals«, begann er. »Es war Krieg. Es gab einen großen Kampf, und er wurde verletzt. Sehr schlimm verletzt. Ich habe ihn gefunden, aber ich bin zu spät gekommen. Er war tot.«
    »Tot?«, wiederholte sie verwirrt.
    »Ich dachte, er wäre tot«, antwortete Andrej mit leiser werdender, zitternder Stimme. Die Worte beschworen einen Schrecken herauf, dessen er kaum Herr wurde. Aber wenn er ihm jetzt nicht ins Gesicht sah, wann dann? »Er war so schlimm verletzt, und ich konnte sein Herz nicht mehr schlagen hören. Also … also habe ich ihn begraben.«
    Es dauerte eine Weile, bis Corinna wirklich begriff, was er gesagt hatte. »Aber er war noch am Leben!«, hauchte sie entsetzt. »Du hast ihn –?«
    »Lebendig begraben, ja.« Seine Hand schloss sich so fest um Corinnas Finger, dass er ihr wehtun musste, aber sie versuchte nicht, sich seinem Griff zu entziehen.
    »Das ist … entsetzlich«, flüsterte sie. »Und wie … wann hast du es …?«
    »Gemerkt?«, fragte Andrej, als ihre Stimme versagte. Er schüttelte den Kopf. Sein Blick ließ Marius’ Gesicht nicht los. Nichts regte sich darin, und doch schien da plötzlich eine Bewegung zu sein, deren Grund er erst begriff, als er die brennende Nässe in seinen Augen spürte.
    »Gar nicht. Ich bin weggegangen, so schnell und so weit ich konnte.«
    »Dann hat er sich selbst aus dem Grab befreit?«, flüsterte Corinna. Andrej nickte, und dieses Mal verging noch mehr Zeit, ehe sie weitersprach. »Und wie lange hat es gedauert?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete Andrej. »Zu lange. Er ist herausgekommen, irgendwie. Vielleicht hatte er Hilfe. Ich habe es nie erfahren.«
    »Und seitdem ist er so?«
    »Seitdem hasst er mich«, antwortete Andrej. »Ich habe ihn lange nicht mehr gesehen. Viele Jahre. Ich dachte, er wäre tot, aber das war er nicht. Er war am Leben und ist …« Er suchte nach Worten und fand nicht die richtigen. »… zu dem geworden, was er jetzt ist. Er hasst mich. Wie könnte es auch anders sein, nach dem, was ich ihm angetan habe?«
    »Aber du hast es doch nicht gewusst!«
    »Und?«, fragte Andrej bitter. »Ändert das etwas?«
    Was erwartete er – dass sie ihm widersprach oder ihm gar die Absolution erteilte? Wie hätte sie das gekonnt, und wie hätte er dieses Geschenk annehmen können?
    Sie tat nichts von alledem, sondern ergriff seine Hand nun auch mit der Linken, und ihr Blick wurde weich. »Vielleicht ist es gar nicht er, der dich hasst, sondern du selbst«, flüsterte sie. »Warum hast du mir nicht davon erzählt?«
    Weil es nichts war, worauf er besonders stolz sein konnte? Das wäre die Wahrheit gewesen, aber es hätte auch so billig geklungen, dass er die Worte nicht über die Lippen gebracht hätte.
    »Das muss entsetzlich gewesen sein«, sagte Corinna. »Wie hast du es ertragen, all diese Jahre?«
    Wie hatte Marius es ertragen?, fragte er sich, gab sich aber auch gleich selbst die Antwort: gar nicht!
    Corinna ließ seine Hand los, schlang die Arme um seinen Hals und versuchte ihn zu küssen, doch

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