Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
Vorgarten sah ich etwas, woran ich bisher nur vage gedacht hatte, bis ich es in Händen hielt. Es war eine Sichel, an deren Blatt noch einige Gräser von der letzten Mahd klebten. Als ich sie abwischte und mit dem Finger über die scharfe Schneide fuhr, war mein Plan gemacht, und ich konnte erledigen, was zu tun war: einen Wagen mieten, dazu einen Kutscher, der mir in den nächsten Tagen zur Verfügung stehen würde, geblendet von dem Trinkgeld, das ich ihm gab, und der Aussicht auf mehr; meine Truhe aus dem Hotel Saint-Gabriel in diesen Wagen transportieren lassen und besorgen, was ich sonst noch benötigte. Und als ich mich überzeugt hatte, daß der Kutscher alles tun würde, was ich von ihm verlangt hatte, und betrunken genug war, um nichts zu wissen, als daß er mich am frühen Morgen nach Fontainebleau bringen sollte, fuhren wir langsam und vorsichtig an die Straße des Théâtre des Vampires ein und warteten in einiger Entfernung, bis der Himmel heller wurde. Ich hatte noch fünfzehn Minuten Zeit.
Das Theater war verschlossen. Ich wußte, tief drinnen lagen die Vampire schon in ihren Särgen, und selbst wenn der eine oder andere sich beim Schlafen legen verspätet haben sollte, so würde er meine Vorbereitungen nicht hören. Ich holte Bretter aus dem Wagen und verbarrikadierte damit die Außentüren; ein früher Passant, der mich Nägel einschlagen sah, mußte wohl vermuten, daß ich vom Eigentümer den Auftrag hatte, das Haus zu versperren. Dann ließ ich den Wagen in die Seitengasse fahren und stieg aus mit meiner Sichel und zwei Kanistern voll Kerosin.
Der Schlüssel, den mir Armand gegeben hatte, verschaffte mir Zutritt zu dem unteren Korridor; ich warf einen Blick in sein Zimmer und vergewisserte mich, daß er nicht da war. Der Sarg war fort. Schnell öffnete ich einen Kanister und verspritzte das Kerosin über die unverputzten Balken des Korridors, die Treppe und die Holztüren, hinter denen die Vampire sich zur Ruhe gelegt hatten, ging in den Ballsaal und verteilte das Kerosin auf Draperien und Polstermöbeln, schlich mich ins Theater selbst und versprengte Kerosin auf den Sesseln, den Logenvorhängen und zuletzt auf dem Bühnenvorhang.
Als die Kanister leer waren, holte ich eine primitive Fackel, die ich aus Lumpen angefertigt und mit Kerosin getränkt hatte, und zündete die Sessel an und die Vorhänge, und in Sekunden brannte das Haus lichterloh - die Samtbezüge, die Seidenvorhänge, der große, bemalte Bühnenvorhang -, und die Balken knackten und stöhnten, als die Flammen an ihnen emporzüngelten. Ich hatte keine Zeit, mich an dem Schauspiel zu ergötzen; ich lief in den unteren Korridor zurück und stieß die Fackel in das Roßhaarsofa des Ballsaals, hielt sie an die Gardinen und Wandteppiche, an alles, was brennbar war.
Über mir hörte ich Schritte und unruhiges Poltern, aufgerissene Türen. Aber es war zu spät. Schon war das Haus ein Flammenmeer; sie waren verloren. Ich hörte einen Schrei, es war Santiago, ohne Zweifel, ich hielt meine Sichel in der Hand und lief ihm entgegen, als er die Treppe herunterkam. Durch den dichten Qualm sah ich ihn. Mit einem heiseren Schrei stürzte er sich auf mich. Ich schwang die Sichel und traf seinen Nacken. Er taumelte und tastete mit beiden Händen nach der Wunde, und während ringsum Schreie und Verwünschungen ertönten, schlug ich ein zweites Mal zu. Diesmal griffen seine Hände ins Leere, als der Kopf mir vor die Füße rollte. Ich stieß ihn mit dem Fuß beiseite, warf Sichel und Fackel fort und rannte aus dem Haus, so schnell ich konnte.
Draußen wurde es hell; ich mußte mich beeilen. Ich erkannte die dunklen Umrisse des Wagens und den Kutscher auf dem Bock, der eingeschlafen war und sich auf meinen Anruf aufrichtete und nach der Peitsche griff; und ich öffnete die Tür, während die Pferde schon anzogen, stieg ein und machte, daß ich in meine Truhe kam; und endlich lag ich still im Dunkel, meine versengten Hände auf die Seide gebettet, den schützenden Deckel über mir. Noch konnte ich den Qualm riechen, er brannte mir in den Augen und in der Lunge; aber ich hörte das Hufgetrappel und wußte, wir ließen den Qualm und die Flammen und die Schreie hinter uns - wir fuhren aus Paris hinaus. Ich hatte es vollbracht. Das Théâtre des Vampires brannte nieder bis auf den Grund. Ich sah Claudia und Madeleine vor mir, und ich sagte vor mich hin: ›Ich konnte euch nicht mitnehmen. Aber nun liegen sie alle tot und entstellt um euch. Wenn das Feuer
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