Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir
sehr einfach, gar keine Sache des Mutes. Und ich wußte auch genug von Armand, um aus der An, wie er sprach, zu schließen, daß er mich nicht hindern, sondern mir folgen würde, wenn ich zurückginge.
Ich hatte recht. Wir eilten ins Haus, und schon auf der Treppe zum Saal hörte ich die anderen Vampire, als ob sie eine Versammlung abhielten. Und dann sah ich, noch in der Tür, Celeste; sie hatte eine jener Bühnenmasken in der Hand und blickte mich an, offenbar in keiner Weise beunruhigt, sondern merkwürdig gleichgültig.
Hätte sie sich auf mich gestürzt, hätte sie Alarm geschlagen, es wäre mir verständlich gewesen. Doch sie tat nichts dergleichen. Sie ging in den Saal zurück, hielt die Maske vors Gesicht und sagte hinter dem gemalten Totenkopf: ›Lestat… sieh nur, wer da ist! Dein Freund Louis kommt uns besuchen.‹ Sie ließ die Maske fallen, und ringsum erklang Gekicher. Sie waren alle versammelt, die Schattenwesen; sie saßen und standen, einzeln und in Gruppen. Und Lestat hockte in einem Sessel, die Schultern gebeugt, das Gesicht von mir abgewendet. Irgend etwas hatte er in den Händen, ich konnte es nicht erkennen; und er blickte langsam auf, Furcht in den Augen, es war unleugbar. Jetzt sah er Armand entgegen, der schweigend und gemessen durch den Saal schritt, während die anderen alle zurücktraten. Als Armand bei Lestat angelangt war, fragte er ihn: ›Bist du zufrieden?‹
Zu meiner Verwunderung sah ich Tränen in Lestats Augen; er bewegte die Lippen, um Worte zu formen. ›Ja…‹, flüsterte er schließlich und barg noch immer etwas fest in der Hand. Dann sah er mich, und die Tränen liefen ihm übers Gesicht. Seine Stimme verriet den schweren Kampf, der sich in ihm abspielte, als er sagte: ›Louis… bitte, du mußt mich hören… du mußt zurückkommen.‹ Er neigte den Kopf und verzog das Gesicht vor Verlegenheit und Scham.
Irgendwo im Saal hörte ich Santiago lachen. Und Armand sagte sanft zu Lestat, er müsse Paris verlassen, er sei ein Geächteter.
Lestat hatte die Augen geschlossen, sein Gesicht spiegelte seine Pein. Er schien ein Doppelgänger Lestats zu sein, eine verwundete, empfindsame Kreatur, die ich nie gekannt hatte. ›Bitte…‹, wiederholte er und blickte flehend zu mir auf. ›Ich kann hier nicht mit dir sprechen. Willst du nicht mit mir kommen - nur eine Weile - bis ich wieder zu mir gefunden habe?‹
›Das ist alles Wahnsinn!‹ rief ich und hob die Hände an die Schläfen. ›Wo ist sie denn? Wo ist Claudia?‹ Ich blickte um mich und sah teilnahmslose Gesichter, unergründliches Lächeln. »Lestat!‹ rief ich und packte ihn am Rockaufschlag.
Dann sah ich, was er in der Hand hielt, und wußte sogleich, was es war, entriß es ihm und starrte auf ein Stück gelbe Seide - Claudias Kleid. Lestat hob die Hand an den Mund und wandte sein Gesicht ab. Ich hörte sein unterdrücktes Schluchzen, während ich unablässig auf das Stück Seide starrte. Es war fleckig von Blut und Tränen.
Ich muß lange so gestanden haben; die Zeit war bedeutungslos für mich wie für diese flatterigen Vampirgestalten, deren ätherisches Gelächter den Raum erfüllte. Ich sah eine Reihe Kerzen, die ihr flackerndes licht an die bemalten Wände warfen; sie führten zu einer Tür. Und ich wußte, Claudia war hinter dieser Tür. Die Kerzen bewegten sich. Die Vampire hielten sie in den Händen. Santiago nickte mir zu und bedeutete, ich solle durch die Tür gehen. Ich nahm kaum Kenntnis von ihm. Ich interessierte mich überhaupt nicht für ihn oder die anderen. Eine innere Stimme sagte mir, wenn du dich mit ihnen abgibst, wirst du wahnsinnig. Sie sind dir einerlei. Nur Claudia zählt. Wo ist sie? Suche sie. Das Lachen der Vampire war weit entfernt, es schien Farbe und Form zu haben, doch es hatte keinerlei Bedeutung.
Dann sah ich etwas durch die geöffnete Tür, das ich vor langer, langer Zeit schon einmal gesehen hatte. Und außer mir wußte niemand, was ich vor vielen Jahren gesehen hatte. Doch Lestat wußte es. Aber das war ohne Bedeutung. Er würde nicht begreifen, daß er und ich es damals gesehen hatten, damals in der Rue Royale, diese beiden nassen, verwelkten Körper, die einmal am Leben gewesen waren, Mutter und Tochter, die eng umschlungen auf dem Boden der Küche gelegen hatten, ermordet. Doch die beiden, die nun im sanften Regen lagen, waren Madeleine und Claudia, und Madeleines wunderschönes rotes Haar mischte sich mit dem Gold von Claudias Haaren, das zitternd im Wind
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