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Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
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sterbliche Augen es gesehen hätten, doch Lestat und ich konnten es sehen.
    Nun, was Babette betrifft, so war ich inzwischen einmal bei ihr gewesen. Wie ich dir schon erzählte, hatte sie in der Gegend Anstoß erregt, weil sie allein auf der Plantage geblieben war, ohne einen männlichen Beschützer im Hause, nicht einmal mit einer älteren Dame. Finanziell hatte sie Erfolg, doch litt sie unter der gesellschaftlichen Ächtung. Reichtum bedeutete ihr nichts - eine Familie, Nachkommenschaft, das war für sie von Wert. Obwohl es ihr gelang, die Plantage ertragreich zu bewirtschaften, machte sich der Klatsch über sie her. Innerlich resignierte sie. Eines Nachts kam ich zu ihr in den Garten. Ohne mich ihr zu zeigen, sagte ich ihr mit der sanftesten Stimme, daß ich der gleiche sei, den sie schon einmal gesehen, und daß ich von ihrem Leben und ihrem Leiden wisse. ›ErwartenSie nicht, daß die Leute Sie verstehen‹, sagte ich.. ›Es sind Dummköpfe. Sie wollen, daß Sie sich vom Leben zurückziehen, weil Ihr Bruder tot ist. Sie wollen sich Ihres Lebens bedienen, als sei es nichts anderes als Öl für eine gewöhnliche Lampe. Sie müssen ihnen Trotz bieten, aber mit Reinheit und Zuversicht.‹ Schweigend hörte sie mir zu. Und ich sagte ihr weiter, sie solle einen Ball geben, einen Wohltätigkeitsball, und dazu die besten Freundinnen ihrer verstorbenen Mutter als Anstandsdamen einladen. Und sie müsse es mit völligem Selbstvertrauen tun. Selbstvertrauen und Reinheit, das wäre jetzt das wichtigste.
    Babette schien es einzuleuchten. ›Ich weiß nicht, wer Sie sind, und Sie werden es mir nicht verratene flüsterte sie. (Das war wahr.) »Ich kann mir nur denken, daß Sie ein Engel sind.‹ Und sie bat, mein Gesicht sehen zu dürfen. Das heißt, sie bat so, wie es Menschen wie Babette tun, denen es nicht gegeben ist, jemanden um etwas zu bitten. Nicht, daß sie stolz gewesen wäre. Sie war einfach stark und ehrlich, was in den meisten Fällen das Bitten… Aber ich sehe, daß du mich etwas fragen willst.« Der Vampir hielt inne.
    »Ach nein«, sagte der Junge. Er hätte es gern vertuscht.
    »Du brauchst keine Angst zu haben, mich etwas zu fragen. Wenn ich dir etwas verschweigen wollte…« Das Gesicht des Vampirs verdunkelte sich einen Augenblick. Er runzelte die Stirn, und als sich seine Brauen zusammenzogen, bildete sich auf der Stirn über dem linken Auge eine kleine Vertiefung, als habe jemand mit dem Finger darauf gedrückt. Das gab ihm den besonderen Ausdruck tiefen Kummers. »Wenn ich dir etwas verschweigen wollte«, wiederholte er, »hätte ich mich gar nicht erst auf dieses Interview eingelassen.«
    Der Junge starrte dem Vampir auf die Augen, auf die Wimpern, die wie feine schwarze Fäden in dem zarten Fleisch der Lider waren.
    »Frage nur«, sagte der Vampir.
    ” »So wie Sie von Babette sprechen…«, sagte der Junge. »Als ob Sie für sie ein
    besonderes Gefühl gehabt hätten.«
    »Habe ich den Eindruck erweckt, ich hätte keine Gefühle?«
    »Nein, durchaus nicht. Offenbar hatten Sie auch Gefühle für Lestats alten Vater. Sie sind geblieben, um ihn zu trösten, als Sie schon in Gefahr waren. Und was Sie für den jungen Freniére gefühlt haben, als Lestat ihn töten wollte… das haben Sie ja erklärt. Aber was ich gern gewußt hätte - war Ihr Gefühl für Babette nicht noch anders? Und war dieses Gefühl für Babette nicht der Grund gewesen, Freniére schützen zu wollen?«
    »Du meinst liebe«, sagte der Vampir. »Warum zögerst du, es zu sagen?«
    »Weil Sie von Unbeteiligtsein, von Gleichgültigkeit gesprochen haben.«
    »Glaubst du, daß Engel gleichgültig sind?« Der Junge dachte einen Augenblick nach. »Ja«, sagte er. »Aber sind Engel nicht der Liebe fähig? Schauen sie nicht voller liebe in Gottes Antlitz?«
    Wieder überlegte der Junge: »Liebe oder Verehrung.« »Was ist der Unterschied?« fragte der Vampir nachdenklich. »Was ist der Unterschied?« Die Frage war offensichtlich nicht an den Jungen gerichtet. Er stellte sich selbst die Frage. »Engel fühlen Liebe und Stolz - den Stolz des Gestürzten - und Haß. Die starken, übermächtigen Emp findungen scheinbar gleichgültiger Wesen, bei denen Gefühl und Wille eins sind«, sagte er schließlich. Nun starrte er auf den Tisch, als ob er darüber nachdächte - er war nicht vollends zufrieden damit.
    »Ich hatte für Babette… ein starkes Gefühl.
    Es war nicht das stärkste, das ich je für ein menschliches Wesen empfunden habe« - er sah

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