Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir

Titel: Chronik der Vampire 01 - Interview mit einem Vampir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Rice
Vom Netzwerk:
oder wo ich auch nur einen einzigen anderen Vertreter unserer Gattung treffen konnte. Diese Gedanken beunruhigten mich in jenem Augenblick ebensosehr wie in den vergangenen vier Jahren. Ich haßte ihn und wollte von ihm fort, aber konnte ich ihn wirklich verlassen?
    Während mir all dies durch den Kopf ging, setzte Lestat seine Schmähungen fort - er brauche mich nicht, und er würde sich nichts gefallen lassen, schon gar nicht von den Freniéres. Wir müßten bereit sein, wenn diese Tür geöffnet würde. ›Denke daran‹, sagte er schließlich, ›Geschwindigkeit und Stärke, darin sind wir nicht zu übertreffen. Und die Furcht. Denke immer daran, Furcht zu erregen. Sei jetzt nicht sentimental! Damit verspielst du nur alles.‹
    »Und danach möchtest du unabhängig sein?‹ fragte ich ihn. Ich wollte es ihm nahelegen, aber ich hatte nicht den Mut. Oder, besser gesagt, ich war mir über meine eigenen Gefühle nicht im klaren.
    »Ich möchte nach New Orleans gehen‹, antwortete er. »Ich habe dir nur gesagt, daß ich dich nicht brauche. Aber um hier herauszukommen, haben wir einander nötig. Du verstehst immer noch nicht, deine Kräfte anzuwenden; du hast nicht das angeborene Gefühl für das, was du bist. Wende deine Überredungskünste bei dieser Frau an, wenn sie kommt. Aber wenn sie mit anderen kommt, dann sei bereit zu handeln als der, der du bist.‹ »Und das wäre?‹ fragte ich; denn noch nie schien es mir ein solches Geheimnis wie in diesem Augenblick. »Wer bin ich - was bin ich?‹
    Er hob angewidert die Hände. »Sei bereit…‹, sagte er und entblößte seine prächtigen Zähne, »zu töten!‹ Plötzlich blickte er zur Decke. »Oben geht man zu Bett, hörst du?‹
    Nach einer langen Zeit des Schweigens, während Lestat auf und ab ging und ich grübelnd dasaß und versuchte, eine Antwort auf die Frage zu finden, was ich zu Babette sagen, was ich mit ihr tun könnte, oder, noch tiefer in meiner Seele, eine Antwort auf eine noch schwierigere Frage - was fühlte ich wirklich für Babette? -, nach einer langen Zeit schimmerte ein Licht im Türspalt. Lestat war sprungbereit, um sich auf den zu stürzen, der öffnen würde. Es war Babette allein, die mit einer Lampe eintrat. Sie konnte Lestat, der hinter ihr stand, nicht sehen, do& mich blickte sie gerade an.
    Noch nie hatte ich sie so gesehen, wie sie jetzt war: Die Haare waren schon für die Nacht aufgelöst und bildeten eine Flut dunkler Wellen hinter ihrem weißen Nachtgewand, und ihr Gesicht war angespannt vor Furcht und Kummer, die großen braunen Augen noch größer in einem fiebrigen Glanz. Wie ich dir schon sagte, liebte ich ihre Stärke und Rechtschaffenheit und Seelengröße; ich fühlte keine sinnliche Leidenschaft, doch fand ich Babette verlockender als jede Frau, die ich in meinem sterblichen Dasein gesehen hatte. Auch in dem züchtigen Nachtgewand waren ihre Arme und Brüste rund und weich, und sie erschien mir wie eine faszinierende Seele, in geheimnisvolles Fleisch gehüllt. Ich, sonst hart und nüchtern und berechnend, fühlte mich unwiderstehlich zu ihr hingezogen; und da ich ja wußte, daß nur der Tod Erfüllung bringen konnte, wandte ich mich sofort ab - unsicher, ob sie meine Augen nicht tot und seelenlos finden würde, wenn ich sie hineinschauen ließe.
    ›Sie sind derjenige, der mich schon einmal aufgesucht hat‹, sagte sie, als sei sie dessen nicht sicher gewesen. ›Und Sie sind der Herr von Pointe du Lac. Sie sind es!‹ Während sie sprach, wurde mir bewußt, daß sie die ungeheuerlichsten Geschichten über die letzte Nacht gehört haben mußte, und es wäre zwecklos gewesen, sie durch irgendeine Lüge zu beschwichtigen. Ich hatte zweimal meine übernatürlichen Kräfte gebraucht, um vor sie zu treten und mit ihr zu sprechen; und jetzt konnte ich sie nicht verbergen oder bagatellisieren.
    ›Ich habe nichts Böses mit Ihnen im Sinn‹, antwortete ich. ›Ich brauche nur einen Wagen und Pferde… die Pferde, die ich gestern abend in der Koppel gelassen habe.‹ Sie schien nicht auf meine Worte zu hören; sie trat näher, entschlossen, das Licht ihrer Lampe auf mich fallen zu lassen.
    Und dann sah ich Lestat hinter ihr, gierig und gefahrdrohend, und sein Schatten verschmolz mit ihrem Schatten an der Wand. ›Sie werden mir den Wagen geben?‹ fuhr ich beharrlich fort. Sie hatte die Lampe erhoben und blickte mich an; und als ich mich abwenden wollte, sah ich, daß ihre Miene sich veränderte. Sie wurde unbewegt, ausdruckslos,

Weitere Kostenlose Bücher