Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
erschaffen wurde.«
Keuchen, Gemurmel. Aber die alte Königin quietschte vor Vergnügen.
»Das sind Kapitalverbrechen«, sagte er. »Ich sage euch, sie müssen bestraft werden. Und wer von euch wüßte nicht um sein Possenspiel auf der Bühne jenes Boulevardtheaters, das er sich als Sterblicher hält! Dort hat er tausend Parisern seine Fähigkeiten als Kind der Finsternis frech zur Schau gestellt! Und das Geheimnis, das wir Jahrhunderte bewahrt haben, wurde zum Vergnügen des Pöbels gebrochen.«
Die alte Königin rieb sich die Hände und neigte ihren Kopf zur Seite, als sie mich ansah. »Stimmt das alles, Kind?« fragte sie. »Bist du in einer Loge in der Oper gesessen? Hast du mit dem König und der Königin im Tuilerienpalast getanzt, du und diese Schöne, die du so vollkommen erschaffen hast? Stimmt es, daß ihr in einer goldenen Kutsche über die Boulevards gefahren seid?« Sie lachte und lachte, wobei sie die anderen forschend ansah und sie zu bändigen suchte. »Ach, dieser Putz, diese Würde«, fuhr sie fort. »Was geschah, als ihr die große Kathedrale betratet? Sag schon!«
»Absolut nichts, Madame!« versicherte ich.
»Kapitalverbrechen!« geiferte der Vampirknabe. »Diese Untaten genügen, die ganze Stadt, wenn nicht das ganze Königreich gegen uns aufzubringen. Und das nach Jahrhunderten, in denen wir hier in aller Heimlichkeit unserer Saugjagd nachgegangen sind und allenfalls Stoff für ängstlich geflüsterte Schauergeschichten über unsere große Macht geliefert haben. Spukgestalten sind wir, Geschöpfe der Nacht, die die Ängste der Menschen schüren sollen, nicht rasende Dämonen!«
»Ach, aber es ist doch einfach zu großartig«, flötete die alte Königin, die Augen zur Kuppeldecke gerichtet. »Auf meinem steinernen Kopfkissen habe ich von der sterblichen Welt da oben geträumt. Ich habe ihre Stimmen, ihre neue Musik gehört, Wiegenlieder in meinem Grab. Ich habe ihre phantastischen Entdeckungen geschaut, und obwohl ich an alldem nicht teilnehmen darf, ersehne ich nichts stärker, als sie furchtlos auf der Straße des Teufels zu durchstreifen.«
Der grauäugige junge war außer sich. »Verzichtet auf den Prozeß«, sagte er, den Meister fixierend. »Zündet den Scheiterhaufen gleich jetzt an!«
Die Königin trat beiseite und machte mir den Weg frei, als der Junge nach der nächstbesten Fackel griff. Ich stürzte auf ihn zu, entwand ihm die Fackel und schleuderte ihn kopfüber zur Decke, und kopfüber landete er wieder auf dem Boden. Ich trat die Fackel aus.
Jetzt war nur noch eine übrig. Und der Orden der Vampire war völlig durcheinander. Einige eilten dem Jungen zur Hilfe, andere raunten einander zu, und der Meister stand stocksteif, wie traumverloren da.
Ich nutzte die allgemeine Verwirrung, stob vor, kletterte auf den Scheiterhaufen und riß die Vorderseite des kleinen Holzkäfigs weg. Nicolas sah wie ein lebendiger Leichnam aus. Seine Augen waren bleiern, und sein Mund lächelte mich haßverzerrt an. Ich befreite ihn aus dem Käfig und trug ihn hinunter. Er hatte Fieber. Er stieß mich beiseite und verfluchte mich leise.
Die alte Königin sah fasziniert zu, und Gabrielle zeigte nicht die geringsten Anzeichen von Furcht. Ich zog den Perlenrosenkranz aus meinem Wams und ließ das Kruzifix baumeln, dann hängte ich Nicolas den Rosenkranz um den Hals. Er starrte abwesend auf das kleine Kreuz, und dann fing er voll Groll und Verachtung zu lachen an. Sein Lachen war das genaue Gegenteil der Laute, die die Vampire von sich gaben. Man hörte das menschliche Blut ertönen. Er machte plötzlich einen gesunden und heißblütigen und seltsam unfertigen Eindruck, der einzige Sterbliche in unserer Mitte, wie ein Kind unter Porzellanpuppen.
»Nach euren eigenen Regeln dürft ihr ihm nichts tun«, sagte ich, »hat ihm doch ein Vampir seinen übernatürlichen Schutz gewährt.«
Ich trug Nicki nach vorne. Und Gabrielle nahm ihn sogleich in ihre Arme. Er ließ sie gewähren, obgleich er sie wie eine Fremde ansah und sogar die Hand hob, um ihr Gesicht zu berühren. Sie schob seine Hand wie die eines Babys fort und ließ den Meister und mich nicht aus den Augen.
»Da euer Meister sich in Schweigen hüllt, werde ich das Wort an euch richten«, sagte ich. »Wascht euch in der Seine und kleidet euch wie Menschen, falls ihr noch wißt, wie das geht, und mischt euch unter die Menschen, denn das ist eure offenkundige Bestimmung. «
Der Vampirknabe stolperte in den Kreis zurück und stieß alle unsanft
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