Chronik der Vampire 02 - Fürst der Finsternis
von mir?« fragte der Meister. Er ließ seinen Blick zu Gabrielle und zu dem betäubten Nicolas an ihrer Schulter schweifen. Dann wandte er sich wieder an mich. »Ich könnte bis zum Ende der Zeiten sprechen«, sagte er, »und dir dennoch nicht erklären, was du hier alles zerstört hast.«
Mir schien, daß die alte Königin ein höhnisches Schnauben losließ, aber vielleicht täuschte ich mich auch, denn allzusehr war ich von Armand in Anspruch genommen, von dem milden Tonfall seiner Rede und der tobenden Wut in seinem Inneren.
»Seit Anbeginn der Zeit«, sagte er, »haben diese Mysterien bestanden.« Er sah klein aus, wie er da in diesem Riesengemach mit schlaff herabhängenden Händen stand und mit fast tonloser Stimme sprach. »Seit uralten Tagen treibt unsereins sein Wesen in den Städten der Menschen, unseren nächtlichen Jagdgründen, die Gott und der Teufel uns zugewiesen haben. Wir sind die Erwählten des Satans, und wer in unsere Reihen aufgenommen werden wollte, hatte sich erst einmal durch hundert Verbrechen zu bewähren, ehe ihm das Geschenk der Finsternis, die Unsterblichkeit, zuteil wurde.«
Er näherte sich mir ein wenig, und das Licht der Fackel glomm in seinen Augen.
»Vor den Augen ihrer Lieben schienen die Auserwählten zu sterben«, sagte er, »und mit nur einer winzigen Infusion unseres Blutes haben sie ihr schreckliches Sargdasein ertragen, auf uns gewartet, Dann, und nur dann, wurde ihnen das Geschenk der Finsternis verliehen, und danach wurden sie erneut im Grab eingesargt, bis ihnen ihr Durst die Kraft verlieh, das enge Gehäuse zu sprengen und aufzuerstehen.«
Seine Stimme wurde ein wenig lauter, volltönender. »In diesen finsteren Grüften haben sie den Tod erfahren«, sagte er. »Um den Tod und die Macht des Bösen wußten sie, als sie sich erhoben, den Sarg und die Eisengatter aufbrachen. Und Erbarmen den Schwachen, denen es nicht gelang. Wir haben ihnen keine Gnade gewährt. Aber die, die sich aus dem Grab erhoben, ah, das waren die Vampire, die auf Erden wandelten, geläuterte Kinder der Finsternis, aus unschuldigem Blut geboren, ohne die Macht eines alten Meisters, so daß sie ganz allmählich die Weisheit erwarben, mit den Gaben der Finsternis umzugehen. Und diesen Erwählten wurden die Gesetze der Finsternis auferlegt - unter den Toten zu leben, denn wir sind tote Wesen, die stets zum eigenen Grab zurückkehren, das Licht zu meiden, Opfer anzulocken und ihnen den Tod zu bringen, und in alle Ewigkeit die Allmacht Gottes, das Kruzifix, die Sakramente heilig zu halten und nie den Tempel Gottes zu betreten, damit Er sie nicht in die Hölle werfe, um ihr Erdendasein in lodernder Marter zu beenden.«
Er hielt inne. Er sah die alte Königin zum erstenmal an, und es schien, obwohl ich mir da nicht ganz sicher war, daß ihn ihr Gesicht verärgerte. »Du hast für diese Dinge nur Verachtung übrig«, sprach er sie an. »Wie Magnus!« Er fing zu zittern an. »Er war wahnsinnig, so wie du wahnsinnig bist, aber ich sage dir, diese Mysterien verstehst du nicht! Du zerschlägst sie einfach wie ein Stück Glas, aber du bist schwach, du hast keinerlei Gaben, bis auf deine Ignoranz. Du zerschlägst alles, sonst nichts.«
Er wandte sich von ihr ab. Und während er seinen Blick durch die riesige Gruft schweifen ließ, fing die alte Vampirkönigin ganz leise zu singen an, wobei sie sich in den Hüften wiegte, den Kopf zur Seite geneigt, die Augen traumverloren. Und wieder war sie von großer Schönheit. »Das Spiel ist aus für meine Kinder«, flüsterte der Meister. »Aus und vorbei. Weil sie jetzt wissen, daß sie all diese Dinge getrost mißachten können. Und diese Dinge haben uns zusammengeschweißt und uns die Kraft verliehen, als Verdammte zu überdauern! Im Schutz der Mysterien.«
Wieder sah er mich an.
»Und du verlangst Erklärungen von mir, als sei dir das alles unverständlich!« sagte er. »Du, für den die Zauber der Finsternis nichts weiter als Instrumente deiner schamlosen Gier sind. Du hast mit ihnen dem Schoß Unsterblichkeit geschenkt, der dich getragen hat! Warum nicht auch dem hier, dem Teufelsgeiger, den du Nacht für Nacht aus weiter Ferne anbetest?«
»Hab ich’s dir nicht gesagt?« sang die alte Vampirkönigin. »Haben wir es nicht immer schon gewußt? Wir müssen uns vor nichts fürchten, weder vor dem Kreuz noch vor dem Weihwasser, noch vor dem Sakrament selbst…« Sie wiederholte die Worte und variierte leise die Melodie, als sie fortfuhr. »Und die alten Riten,
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